„Ein Sieg um jeden Preis“

Der US-Historiker John W. Dower vermisst in den USA eine kritische Auseinandersetzung darüber,wie Zivilisten in feindlichen Ländern durch Luftangriffe und Atombomben getötet wurden

INTERVIEW SVEN HANSEN

taz: Herr Dower, wie sehen Amerikaner den Abwurf der Atombomben auf Hiroschima und Nagasaki?

John W. Dower: Amerikaner nennen den Zweiten Weltkrieg „den guten Krieg“ – einen nötigen und gerechten Krieg gegen Deutschland und Japan. Aus dieser Sicht beendeten die Atombomben den Krieg gegen Japan und retteten unzähligen Amerikanern das Leben, die sonst bei einer Invasion Japans gestorben wären. Daher war der Abwurf der Atombomben ebenfalls gut und gerecht. Direkt nach dem Krieg kritisierten einige Amerikaner einschließlich hoher Militärs den Einsatz dieser Bomben gegen Zivilisten. Der Kalte Krieg brachte solche Stimmen schnell zum Schweigen. Später in der Antikriegsbewegung war der Slogan „No more Hiroshimas“ populär. Es ging darum, alles zu tun, um uns vor solchen Zerstörungen zu verschonen.

Hat sich die Sicht auf die Bombenabwürfe in letzter Zeit noch einmal verändert?

Fragt man heute Amerikaner, was Ground Zero heißt, antworten alle: das World Trade Center in New York. Amerikaner machten diesen Begriff zum Symbol ihres einzigartigen Opfers – ohne Gedanken daran, dass er von 1945 kommt und Höhepunkt einer Politik war, die die Zivilbevölkerung zum legitimen Ziel der Kriegsführung machte. Der 9. September 2001 war ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Aber in den USA wurde er in eine große Darstellung des „clash of civilizations“ verwandelt, in der die USA die Tugend verkörpern. Es gibt fast keine Reflexion über Geschichte und Kultur des modernen Kriegs.

Warum scheinen die meisten Amerikaner zu glauben, dass ihr Land als Verkörperung der Tugend keine Fehler machen könne?

Das Konzept des „guten Kriegs“ lässt keine Fragen zu. Selbst gerechte Kriege mögen Unmoral oder Ungerechtigkeit beinhalten, aber diese Reflexion ist für die meisten zu kompliziert. Für sie waren Nazideutschland und das kaiserliche Japan einfach böse und mussten um jeden Preis besiegt werden. Ein Mittel war der Luftkrieg. Vor 1941 hatten der Völkerbund und die US-Regierung das vorsätzliche Bombardieren von Zivilisten als unzivilisiert verurteilt. In den USA waren es gerade die deutschen und japanischen Bomben auf Zivilisten, die den „barbarischen“ Charakter dieser Regime zeigten. Die moralische Grenze wurde überschritten, als Briten und Amerikaner ihrerseits systematisch städtische Zentren angriffen. Hiroschima und Nagasaki bedeuteten technologisch eine neue Ära der Massenvernichtung, aber die moralische Frage war bereits zugunsten des Bombenterrors oder der Zerstörung „feindlicher Moral“ entschieden. Dies kann heute im US-Mainstream nicht thematisiert werden, weil es das heroische und tugendhafte Bild des „guten Krieges“ in Frage stellen würde.

1994/95 wurde in Washington eine Ausstellung über den Hiroschima-Bomber „Enola Gay“ und die Atombomben auf Druck Konservativer von „unpatriotischen“ Exponaten gesäubert. Wie ist das zu erklären?

Die Kontroverse um die „Enola Gay“ war Teil amerikanischer „Kulturkämpfe“. In den 70er- und 80er-Jahren hatten sich Museen in Richtung kritischer Betrachtung der US-Geschichte bewegt. So hatte die Smithsonian Institution in Washington, die aus Bundesmitteln finanziert wird, entsprechend einige Ausstellungen gemacht wie zum Beispiel eine unromantische Darstellung der Eroberung des Westens der USA. Als das Smithsonian-Luft-und-Raumfahrtmuseum eine Ausstellung über die Atombomben und das Ende des Zweiten Weltkriegs plante, kam der Kulturkampf hoch. Geplant war unter anderem eine Betrachtung des „Ground Zero“ in Hiroschima und des nuklearen Wettrüstens als Erbe der Bomben. Das war den Konservativen zu viel. Sie gewannen den Kampf, der Kongress stimmte fast einstimmig in ihrem Sinne. Die Ausstellung wurde gesäubert, der Chefkurator zum Rücktritt gezwungen. Seitdem trauen sich aus Bundesmitteln finanzierte US-Institutionen nicht mehr, kritische Ausstellungen zur US-Geschichte zu machen.

Warum wurden die beiden Atombomben wirklich abgeworfen?

Es gab viele Faktoren. Einer war, den Krieg schnell zu beenden und eine für die USA verlustreiche Invasion Japans zu vermeiden. Ein anderer war „atomare Diplomatie“, also den Sowjets zu zeigen, dass wir die Bombe hatten und bereit waren, sie einzusetzen. Es gab auch innenpolitische Gründe: Die Entwicklung der Bombe war streng geheim gewesen. Wäre nach dem Krieg bekannt geworden, dass die Demokraten dafür viel Geld ausgegeben hatten, ohne etwas dafür vorzuweisen, hätten die Republikaner dies nutzen können. Auch meinten einige Strategen, Amerika sollte die Zerstörungskraft der Bombe der ganzen Welt „demonstrieren“, denn sonst wäre nach dem Krieg ernsthafte Waffenkontrolle unmöglich. Das war natürlich ein Traum.

Die Bomben halfen wirklich, den Krieg zu beenden?

Ja. Die japanische Führung war damals paralysiert. Die jüngste Forschung zeigt aber, dass es nicht die Bomben allein waren, sondern auch die sowjetische Kriegserklärung zwei Tage nach Hiroschima. Dies schockierte die japanische Führung einschließlich des Kaiser noch mehr als die Bomben.

Einige Japaner sehen rassistische Gründe darin, dass die Bomben an ihnen ausprobiert wurden.

Die Amerikaner hassten die Japaner wirklich – noch mehr als die Deutschen. Es gab für diesen Rassismus viele Anzeichen. Aber er war für den Einsatz der Bomben nur ein nachrangiger Grund.