„Angela Merkel vereinfacht zu sehr“

Ein Zentrum gegen Vertreibungen muss differenzieren, dann kann es auch in Berlin stehen, sagt Jaroslav Šonka

taz: Herr Šonka, Sie sind gebürtiger Tscheche und Osteuropa-Experte. Ärgert es Sie, wenn die mögliche künftige Kanzlerin Angela Merkel ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ in der deutschen Hauptstadt ausdrücklich befürwortet?

Jaroslav Šonka: Ich sehe das Projekt neutral. Die Vertriebenenen-Bund Präsidentin Erika Steinbach plant ja kein Zentrum, das allein „die deutschen Opfer“ fokussiert. Ein solcher Gedenkort an sich wäre noch kein Skandal – solange die Darstellung differenziert ist. Untragbar allerdings finde ich, wie CDU-Chefin Angela Merkel auf dem „Tag der Heimat“ die Geschichte vereinfachte. Sie sprach von 15 Millionen Vertriebenen. Das aber ist falsch. Das waren nicht alles Vertriebene, das war eine bunt gemischte Gruppe. Verjagte Menschen, aber auch Flüchtlinge, die keine Zukunft mehr in der Ostheimat sahen. Otto Schily, aber auch Steinbach wählten ihre Worte sorgsamer.

Könnte nicht Steinbach viele Einwände gegen ihr Zentrum entkräften, indem sie auf ein europäisches Gemeinschaftsprojekt wartet?

Steinbach ist ja gar nicht abgeneigt, mit anderen zusammenzuarbeiten. Sie will nur nicht ausharren, bis die übrigen Länder endlich aktiv werden. Es ist doch leider so: Warten, bis irgendwer irgendwann ein internationales Netzwerk gründet – das dauert zu lange. Dann sind die Opfer längst tot. Überhaupt finde ich Aktionen im Kleinen wichtiger als ein offizielles Erinnerungswerk, das die Regierungen aushandeln. In Tschechien beginnen Menschen von sich aus, Gedenkorte zu schaffen. Etwa an der Brücke in Aussig, wo im Juli 1945 Deutsche erschossen und in den Fluß gestoßen wurden. Dort hängt jetzt eine Gedenktafel.

Vertriebene versuchen ja neuerdings, ihr eigenes Schicksal in die allgemeine Debatte über Menschenrechtsverletzungen einzubetten. Ist das eine gute Strategie?

Allerdings. Denn sie hat einen wunderbaren Nebeneffekt: Es zwingt die Vertriebenen zu einer neuen Weltsicht. Es entsteht ein Druck, sensibler für Vertreibung und Folter weltweit zu sein. Wer sich selbst als Opfer missachteter Menschenrechte sieht, der kann nicht einfach ignorieren, was etwa in Ruanda geschieht.

INTERVIEW: COSIMA SCHMITT