Bye-bye, Magic Bus

Die Grünen haben einen völlig neuen Wahlkampfsound. Es ist die Melodie des Abschieds. Auftakt der Wahlkampf-Serie „Schöne Momente mit …“: grünen Rallye-Rednern

VONSUSANNE LANG

Die Grünen haben völlig Recht, es kann sie nur keiner hören. Niklas Luhmann

Am Anfang ist der Ton, der alles verändern sollte. Diese Stimmen, hochgefiept. Sie setzen weit oben an, dort, wo der Überschlagspunkt liegt, sie singen nicht, sie kreischen, sie schmeicheln nicht, sie sprechen dich an, sie graben sich durch das Trommelfell, sie stocken kaum, weil kein Atem fehlt, sie entspringen der Kehle, nicht dem Bauch, sie sind: weiblich.

Plötzlich heult sie los, Sirenenalarm, sie jammert sich auf Überton zum Feldzug, die Frau weint tatsächlich. Marieluise Beck-Oberndorf tränt. Männer senken ihren Blick, drehen die Köpfe weg. Petra Kelly greift an, wir, doch eine Gruppe, lautet der Appell, kurz nachdem sie den Bundestag noch nicht mal müde geredet hatte; die Abgeordneten haben gar nicht zugehört.

Fraktionssitzung der Grünen, sehr frühe Achtziger, als sie im Bundestag den Ton tatsächlich verändert haben, als sie Opposition als augenscheinlich differente Alternative zuallererst auch akustisch präsentierten. Hysterisch. Aber idealistisch. Passioniert. Anders als die Zeit es kannte, anders als sie Botschaften verstand. Die Grünen waren unhörbar. Doch im Recht. Sie übertrugen ihre Fraktionsplena live. Nicht lange. Zu schnell war klar: Es sind die Bilder, mit denen man gewinnt. Die Anti-Atom-Sticker, die strickenden AbgeordnetInnen, die Sneakers des Ministers bei der Vereidigung. Der Ton war so anstrengend, grün eben. Und nun?

Als schliche sich dieser Sommer samt Kanzler nicht schon feige genug davon, ohne Peak, ohne Hit, ohne Fest, so sind es ausgerechnet die Stimmen der Grünen, die im hastenden Retro ihren Sound auf die Marktplätze werfen. Ihre Tourbusse parken am Straßenrand, grün, gewachst, ohne Kratzer der Lack, auf dem sich die Sonne eitel spiegeln darf, kein Staub, der die Strahlen dämpft. Die Tournee wird diese Woche beginnen, Joschka Fischer startete gestern, der Soundcheck war am Wochenende: eine 48-stündige Rede-Rallye in Berlin-Mitte, neben dem alternativen Kunsthaus „Tacheles“; 80 Politicons, die sich warm geredet haben, wie sie es nennen, für den Herbst, der wenigstens einen Peak haben wird: die Neuwahl. Opposition, Regierung – und was jetzt? Etwa Opposition?

Sie setzt in Mittellage an. Bequem. Presst die Wörter hervor, Schlag auf Schlag, spuckt sie aus. Dazwischen bleibt die Luft weg. Pausen. Ungezielte. Wenn der Wind in einer Böe über die grünen Schirme weht, flattert die Geräuschkulisse die Stimme weg. WirhabendiebesserenArgumente.ZiehtdiesenMannausdemVerkehr.Heiße Phase.Wahlkampf. Diese Stimme kennt nur eine Tonlage. Sie knallt die Argumente nicht ins Mikro, sie sagt, sie beruhigt, sie glaubt, die Argumente seien da. Unausgesprochen. Diese Stimme ist: männlich. Zweite Grünengeneration. Reinhard Bütikofer wabert sich über das Mikrofon, das die Ansprache ans Du einfach verschluckt. Es ist ein reflektierender Ton, kein kämpferischer: WashabenwiralleserreichtwaswarendieFehlerwarumsindsiedennochnebensächlich. Es sind die Grünen, die in diesem Sommer überrollt wurden. Die sich ins Wahlprogramm das neue Label „moderne, wertorientierte und emanzipierte Kraft“ verpasst haben, die „links, freiheitlich und wertkonservativ ist“. Genau so klingen sie.

Kritik und Rebellion, die so großen Anliegen nicht nur der Anfangsgrünen, sondern viel mehr ihrer Beobachter – es wäre ein Leichtes, sie heranzuziehen, um dieser „verstaatlichten“ (Paul Tiefenbach) Partei den Strick zu reichen. Denn Kritik und Rebellion seien nur innerhalb der Gesellschaft möglich, nicht außerhalb, so Niklas Luhmann, der die Grünen von Anfang an mit soziologischem Interesse ersten Grades begleitete. Wer hätte seine These von der Irritation eines Systems, des politischen Systems, auch besser illustrieren können als die Öko-Zukunfts-Visions-APO, die irgendwann in den Bundestag einzog? Auch wenn ihn ihr unhörbarer, moralischer Gestus mehr als störte („Moral stört Funktionssysteme bei der Arbeit“). 17 Jahre später ist die Schlussfolgerung Luhmanns längst bestätigt, denn: „Wenn Kommunikation Erfolg hat, verändert sie die Gesellschaft, die sie beschrieben hatte; verändert damit ihren Gegenstand und trifft dann nicht mehr zu.“

Die Grünen reden einfach weiter. Bütikofer, Özdemir, Sager, Göring-Eckardt, Dutschke (Marek Rudi), Lindenstraßen-Olaf-Kling und viele junge No-Names, deren Sound genau dort anschließt, wo die Christiansen-Welt sich ausblendet. Flexibel, gebildet, Ich-AG-erprobt, sind die Grünen in Regierungsmacht für sie vor allem eines: eine Chance, familiär und beruflich, wenn auch nur für eine begrenzte Projektzeit.

Sie füllen Redezeit. 48 Stunden sind lang, die Wahlkampftour noch länger. Beiunshabenvieleetwaszusagen. So weiß es die Parteiprominenz. Samstag 6 Uhr morgens hört dem Nachwuchs zumindest der letzte treue Gefährte, Monsieur Alkohol, noch zu. Irgendwann streichen sie dann den Latte Macchiato in Gläsern (potenzielles Wurfgeschoss) und schenken das Ost-EU-schicke Bier in Plastikbechern aus (mit Pfand). Lieber Opposition als mit denen, so tickert die Newsmaschine in dieser Woche. Gysi, Lafontaine, Merkel – sie wollen immer noch anders reden. Und klingen so gleich. Nur einer unterscheidet sich noch, in seinem japsenden überschlagenden Sirenenton, und das ist nicht ohne Delikatesse: Guido Westerwelle.

Stunde 20, mittendrin, knarzt sie endlich, die Stimme, auf die doch alle warten. Joschka Fischer. Sacht knarzt sie, knuddelt sich ins Mikrofon, unaufgeregt. Linke Hand in der Hosentasche, dieser Mann steht wie im Bundestag, nur vor lauter FreundInnen. Außen Minister, innen Staatsmann. Auf die grell-überstrahlten Stimmen wartet er mittlerweile, freut sich über die Linkspartei-Aktivistin, die kreischt und schreit und zwischenruft. Steine müsse man werfen auf Joschka Fischer, wie Sie früher auf Kohl … Da knarzt die Stimme nicht mehr, sie murmelt sich am Möchtegernangriff vorbei. Weich. Distanziert. Süffisant. Die linke Flanke ist noch nicht mal offen, es gibt sie nicht in der grünen Welt.

48 Stunden grüner Sound, am Ende formen sie sich zu einer glanzlosen Compilation „Best of 25 Jahre grün plus Bonustrack sieben Jahre Regierungsgrün“: erneuerbare Energien, Atomausstieg, Verbraucherschutz, Kinderbetreuung. Sozialpolitik? Keine Rede, die steht im Programm. Eine einmalige Sounderzählung, die die Ohren ihre Zuhörer durch knisternde Mikrofone so dumpf umschmeichelt, dass sie schmerzen. Ein netter Beitrag zu den „Panflötenquartetten des New-Age-Konzerts“, wie Großmahner Carl Améry den Parteientalk schimpfte. Bis in den letzten Hügel, die letzte Ebene dieser Retrorepublik wird er erklingen bis zum 17. September, die Tour erfüllt ihr Label: Deutschland. Umschmiegt die Stimmen der Provinz. Grün ist das Glück der Vergangenheit. Grün ist die Hoffnung der Opposition. Die Zukunft stellt die Fragen. Seltsam doch, sie sind es, die nachhallen.

Die Bilder gehören dem kollektiven Kurzzeitgedächtnis, der Ton, er ist der Stummfilmfunktion geopfert. Im Medientalk zählt die Symbolkraft der Bilder. Nur Versprecher, der Ausnahmezustand im medialen Flow, erhöhen noch den Aufmerksamkeitswert: Plötzlich haben alle brutto-netto hingehört. Grüne versprechen sich nicht. Sie finden den angemessenen Ton, sie heulen nicht mehr, sie passen zu jedem politischen Mix, sie kämpfen nicht mehr für, nicht mehr gegen, sie kämpfen mit. Mobile Wahlboxen allüberall. Der Slogan dazu: Grün ist wählbar. Hörbar.

Am Ende, Stunde 47, ist es ebenjener Ton aus der Anfangszeit, der doch noch einmal aufschreit. Diese Stimme, hochgefiept. Kurzatmig. Sie setzt auch weit oben an, sie überschlägt so gerne. Menschenrechte.Türkei.Wirhabenimmerallesgetandafür.Ichwunderemich.DieOpposition.Frau Merkel. Sie überschlägt und überschlägt sich selbst noch einmal. Der Sound ist Programm. Stilmittel. Die Bilder sind abgestimmt, sie dominieren nicht, sie parieren. Ein grell-bunter Schal, eine grell-bunte Hose, ein grell-buntes Jackett, eine Claudia Roth, wie sie die Kameras lieben. Sie wollen nicht wegsehen. Der Ton ist: weiblich. Vertraut. Nicht mehr viel anders. Die sanierten Häuser in Mitte-Berlin werfen das Echo zurück, ein mahnender Hall, für einen flüchtigen Moment, lauter als die Tram, die schräg trillernd ein parkendes Auto verscheucht.

So war es bei Umweltminister Jürgen Trittin, so bei Verbraucherschutzministerin Renate Künast, bei Joschka Fischer. Das Volumen des Sounds hat die Baugrube vor einer Häuserruine geschluckt, zwischen und vor den sanierten Immobilien. Grüner Retrosound. Der Ton hat sich in die Nische gerettet, ist aber Mitte-kompatibel.

Wenn sie ehrlich sind, stehen die Grünen der Baugrube näher als dem Hall: Sie werfen von ihm nicht mehr viel zurück in die Gesellschaft, denn sie wissen nicht mehr um ihren richtigen Ton.