Rote Nelken mal antikommunistisch

Nadja Bunke, die Mutter von „Tania la Guerillera“, erzählt vor der Kamera ihr Leben. Würde sie noch leben, hätte Bunke den Film verbieten lassen: Die Regisseurin Heide Specogna hat nämlich keine Ahnung vom Sozialismus

Der Film „Die Zeit der roten Nelken“ hat ein Problem: Offensichtlich liebt die Regisseurin ihre Hauptdarstellerin, jedoch weiß sie nicht, warum. Das prägt leider den gesamten Film.

Dabei ist Nadja Bunke das Agieren vor der Kamera gewohnt, war sie doch in der DDR so etwas wie die Mutter eines Popstars. Die zum Zeitpunkt der Dreharbeiten knapp Neunzigjährige wurde bekannt als die Mutter von Tamara Bunke, die als „Tania la Guerillera“ starb. Als Mutter ließ sie sich instrumentalisieren, rannte in DDR-Zeiten von Kreti zu Pleti, um das Gedenken an die Tochter anzustoßen und mit strenger Hand zu verwalten.

Tamara/Tania wurde 1967 im Dschungel erschossen, als eine derer, die sich mit Che Guevara entschlossen hatten, die Revolution nach Bolivien zu tragen. Dieser Tod und die Ikonisierung haben aus Tamara Bunke einen Mädchen- und Jungsschwarm gemacht – in vielen Kinderzimmern der DDR und auch Westdeutschlands hing das berühmte Porträt von Tania la Guerillera an der Wand, das mit den leuchtenden Augen. Spinnerte behaupten, sie sei die Geliebte Ches gewesen. Hollywood-Romantiker, die sich stets für Revolutionärinnen erwärmen können, wenn die tot sind, versuchten mehrfach, diese „Liebesgeschichte“ zu verfilmen. Immer wieder scheiterten sie an der renitenten Mutter, die äußerst klagefreudig war.

Heidi Specognas Film zeigt Nadja Bunke, die während des Filmdrehs starb, bei ihrer Arbeit: Und die war zeit ihres Lebens politisch – Bunke war Sozialistin. Nadja Bunke wird im zaristischen Russland geboren, erlebt die Oktoberrevolution und liebt seitdem die Nelken. Sie folgt ihrem Vater nach Deutschland, engagiert sich dort in der KPD und geht schließlich Anfang der Dreißigerjahre mit ihrem Mann ins argentinische Exil. Der Gatte hat mit ihr zu ringen: Sie habe sich selbst emanzipieren und ihn die Emanzipation lehren müssen, resümiert die Greisin im Film lächelnd. In den Fünfzigerjahren kehrt das Paar nach Deutschland zurück, nach Stalinstadt. Man will am Aufbau des Sozialismus mitwirken. Nadja Bunke ist bald als Dolmetscherin begehrt, ihre Tochter aber will zurück nach Südamerika und geht nach Kuba.

Specogna fragt Bunke im Film, ob sie bereue, ihre Tochter gehen gelassen zu haben. Nein, sagt die Sozialistin, Tamara habe kämpfen wollen – hätte man sie nicht gehen lassen, dann wäre sie heute verhärmt, meint die Mutter.

Problematisch an „Die Zeit der roten Nelken“ ist, dass die Regisseurin nichts über den Kommunismus weiß und stets nur die Menschen sieht. Diese Menschen aber, will man es dramatisch ausdrücken, hat der Sozialismus als Individuen auszulöschen. Sie alle geben notfalls ihr Leben zur Befreiung aller. So tat es Tamara, so tat es Tanja. Specogna aber irritiert es, wenn ihre Protagonistin moniert, das Neue Deutschland sei heute „zu pluralistisch“, man wisse gar nicht, was man denken solle. Dafür fragt Specogna nach, ob es nicht schlimm gewesen sei, jeden Sonntag demonstrieren zu müssen. An dieser Stelle rastet Nadja Bunke aus: Will sie denn nicht verstehen? Man habe aufgebaut, da habe man zum Demonstrieren doch gar keine Zeit gehabt! Geht Nadja Bunke zu einem politischen Event, schläft sie schon mal ein. Specogna findet das so witzig, dass sie es gleich dreimal zeigt, als Leitmotiv gewissermaßen. Ihr ist ein antikommunistischer Film gelungen. Doch wenn man sich nicht mit der Geschichte, sondern nur mit dem Menschen beschäftigen will, kommt so ein Mist heraus. Bunke hätte den fertigen Film wahrscheinlich verbieten lassen. Dazu hatte sie jedoch keine Chance mehr.

JÖRG SUNDERMEIER

„Die Zeit der roten Nelken“, Buch/Regie: Heidi Specogna. Deutschland 2004. Ab morgen im FSK am Oranienplatz