Selbstgespräche sind tabu

Lautes Denken ist nicht strafbar. Ein Urteil des Bundesgerichtshofs verbessert den Schutz der Privatsphäre und schränkt den großen Lauschangriff ein

KARLSRUHE taz ■ Abgehörte Selbstgespräche dürfen vor Gericht nicht verwendet werden. Dies entschied gestern der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Grundsatzurteil. Der laut geäußerte Gedanke gehöre zum „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ und sei für den Staat tabu. „Auch die Aufklärung eines Mordes rechtfertigt hier keine Ausnahme“, erklärte der Vorsitzende Richter Armin Nack.

Es ging um den Prozess gegen den 46-jährigen Anstreicher Reinhold E. aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck. Er soll den Bauern Friedrich M. erschlagen haben. Das Motiv: Der Bauer wollte E., der sich seit Jahren ohne klare Erlaubnis in einem Anbau eingenistet hatte, vom Hof haben. Doch der Maler beteuerte seine Unschuld. Jahre später nahm die Polizei unerledigte Fälle unter die Lupe und ordnete dabei gegen E. eine Telefon- und Wohnraumüberwachung an. Da er nach einem Arbeitsunfall in einer Reha-Klinik weilte, wurde eben das Klinikzimmer verwanzt. Dann verhörte die Polizei Personen aus E.s Umfeld, um ihn zu verunsichern. So wurde eine Arbeitskollegin gefragt, ob er aggressiv sei. Die Kollegin rief ihn daraufhin an und erzählte ihm von dem Verhör. Anschließend zeigte sich der Maler aufgewühlt und murmelte vor sich hin: „Sehr aggressiv! Sehr aggressiv! In Kopf hätt i eam schießen sollen.“

Die Polizei schloss daraus, dass sich E. Gedanken über eine andere Tötungsart gemacht hatte. Das Landgericht München II verurteilte ihn daraufhin im Dezember 2004 zu lebenslänglicher Haft wegen Mordes.

Dieses Urteil hob der BGH nun wieder auf, denn das Selbstgespräch sei nicht verwertbar. Der Prozess gegen E. muss erneut geführt werden. „Es spricht viel dafür, dass mein Mandant bald aus der Untersuchungshaft entlassen wird“, sagte Verteidiger Markus Meißner.

In der Verhandlung hatten sich nicht nur die Verteidiger Markus Meißner und Eckhart Müller für eine Aufhebung des Urteils ausgesprochen. Auch Bodo Vogler von der Bundesanwaltschaft plädierte gegen die Verwertung von Selbstgesprächen. „Das Selbstgespräch ist das Denken der Seele“, sagte Vogler in Abwandlung eines Platon-Zitats.

Der BGH bezog sich gestern ausdrücklich auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom März 2004. Dort war gefordert worden, dass Gespräche, die dem „Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind“, also zum Beispiel private Gespräche mit Mitbewohnern, weder mitgeschnitten noch verwertet werden dürfen – es sei denn, es gibt Anzeichen, dass über Straftaten gesprochen wird.

Künftig sind Selbstgespräche sogar noch besser geschützt als Privatgespräche. Denn nach dem gestrigen Urteil ist eine Verwertung auch dann ausgeschlossen, wenn laut über strafbares Handeln nachgedacht wurde. Anders ist die Rechtslage freilich noch bei Tagebüchern. Deren polizeiliche Lektüre hatte das Bundesverfassungsgericht 1989 zugelassen, wenn es um die Verfolgung schwerster Kriminalität geht. (Az.: 1 StR 140/05)

CHRISTIAN RATH