Kopf hoch, Deutschland

Die Welt zu verbessern ist schon wieder ein sehr deutscher Denksport geworden. Dieser Eigenart folgen die neuen Komödien „Weltverbesserungsmaßnahmen“ von Jörn Hintzer und Jakob Hüfner und „Die große Depression“ von Konstantin Faigle

VON SVEN VON REDEN

Ist Deutschland der kranke Mann in Europas Mitte? Haben wir es mit dem „Abstieg eines Superstars“ zu tun? „Ist Deutschland noch zu retten?“ oder hat uns der „SuperGAU Deutsche Einheit“ aller Chancen beraubt? Gäbe es immer noch „Kein schöner Land“, wenn da nicht „Die deutsche Krankheit: Sparwut und Sozialabbau“ wäre? Alle diese Zitate stammen aus den Titeln von Sachbüchern der letzten Zeit, die die rhetorischen Lager des aktuellen Wahlkampfs bereits vorgeprägt haben: die Reiter der Apokalypse, die wie Edmund Stoiber Deutschland „als Sanierungsfall“ sehen, gegen die Zügelzieher neoliberaler Allmachtsfantasien wie Oskar Lafontaine.

Das neue deutsche Filmwunder wäre wohl nicht viel wert, würde sich diese nationale Verunsicherung, diese zweifelnde bis verzweifelte Suche nach Rezepten nicht auch dort widerspiegeln. Das gilt weniger für das politische Kino der so genannten Berliner Schule von Christian Petzold, Angela Schanelec, Thomas Arslan und Ausnahmetalente wie Christoph Hochhäusler und Ulrich Köhler. Deren Themen – Verlorenheit, Entfremdung, Heimatlosigkeit – eignen sich nicht für eine konkrete Auseinandersetzung mit dem hässlichen Klein-Klein deutscher Reformdebatten. Ebenso wenig scheint ihre stets auf Abstand achtende Ästhetik geeignet für politisches Pathos.

Eine Hand voll deutscher Filme aus den letzten beiden Jahren – „Muxmäuschenstill“, „Die Fetten Jahre sind vorbei“, „Nasse Sachen“, „Weltverbesserungsmaßnahmen“ und „Die große Depression“ – versuchen sich genau daran: Sie werden konkret, machen Vorschläge, versuchen Erklärungen zu liefern und scheuen sich nicht, Helden oder Antihelden zu zeigen, die einen Unterschied machen wollen. Schön ist das meist nicht anzuschauen. Oft möchte man sich peinlich berührt abwenden vor der Naivität oder dem ungeschützten Pathos. Dennoch kann man ihren Mut bewundern, sich so angreifbar zu machen. Formal sehr heterogen gemacht, ist diesen Filmen doch gemeinsam, dass ihre Regisseure wenig Wert legen auf ästhetische Geschlossenheit. Sie experimentieren, versuchen Wege zu finden zwischen Realität und Fiktion, die weniger auf Vorbilder aus der Filmgeschichte verweisen als auf Fernsehen, Internet und neue politische Aktionsformen. Vier der Regisseure haben an der Kölner Kunsthochschule für Medien studiert.

In „Muxmäuschenstill“ gibt der Regisseur Marcus Mittermeier vor, wirklich die Realität zu dokumentieren. Der gewalttätige Abstieg des fehlgeleiteten Idealisten Herrn Mux verstört dadurch umso mehr. Innerhalb weniger Wochen kommen jetzt zwei Filme in die deutschen Kinos, die diese Bastardästhetik noch weiter treiben: Jörn Hintzers und Jakob Hüfners „Weltverbesserungsmaßnahmen“ und Konstantin Faigles „Die große Depression“. Beide Filme ergänzen sich: Faigle geht auf Deutschlandreise, um den Ursachen der nationalen Niedergeschlagenheit nachzuforschen; Hintzer und Hüfner spielen Vorschläge durch, wie die Nation aus diesem Jammertal herauskommen könnte.

Beide Filme sind Komödien, also wenig geeignet, konkrete politische Handlungsvorlagen zu geben, aber sie bemühen sich um Kontakt mit der aktuellen bundesrepublikanischen Wirklichkeit. Fiktion und Dokumentation werden wild durcheinander geworfen. Faigle unterbricht seine Dokumentation durch inszenierte Exkurse: Er spielt die deutsche Geschichte als Puppenspiel nach – ähnlich wie in den Animationssequenzen aus Michael Moores „Bowling for Columbine“ – oder schlüpft in Verkleidungen. In einer Sequenz lässt er König Ludwig II. wiederauferstehen, um ahnungslose Touristen zu fragen, ob die Deutschen unter einem König glücklicher wären. Im Episodenfilm „Weltverbesserungsmaßnahmen“, der aus einem Internetprojekt entstand, wird ein Darsteller im Kapitel „Privatinitiative für Ästhetik“ auf Berliner Autofahrer losgelassen. Er versucht Parkplatzsuchende dazu zu bringen, ihr Auto zwischen andere mit der gleichen Farbe zu parken, so dass hübsche Farbfelder entstehen. Die Episoden erinnern mitunter an Einspielungen in Comedy-Sendungen wie „TV Total“.

In der richtigen Annahme, dass das Glück der Deutschen eng mit ihren blechernen besten Freunden zusammenhängt, beschäftigt sich noch eine weitere Episode mit der Regelung des Autoverkehrs. Im Kapitel „Ampel e.V.“ wird gleichzeitiges Anfahren an grünen Ampeln geübt, damit Staus sich schneller auflösen und alle entspannter an ihr Ziel kommen. Die Vereinsmitglieder müssen aber zunächst ohne Auto wieder lernen, Nähe zuzulassen und fremden Menschen zu vertrauen. Das ist eine nette Idee, ein gespielter Witz, mehr nicht .

Eine bösere und weiter reichende Satire liefert die Episode „Leihbruderprogramm“, in der Arbeitslose einen Job als Geschwister von Einzelkindern bekommen, um einen „sozialen und kommunikativen Ausgleich zu schaffen“. So wird der 35-jährige Martin nach einer Umschulung zum Leihbruder des fünfjährigen Jonas. Doch es ist schwierig, die Kinder-Rolle im Alltag durchzuhalten: Was tun, wenn man sich zur neuen Mutter hingezogen fühlt und im Sandkasten ein Leihbruder aus einer fremden Familie einem Prügel androht? Wie in „Muxmäuschenstill“ kippt hier die Weltverbesserung in eine Negativutopie, die alle, die schon mal die entmündigende Behandlung auf Sozialämtern über sich haben ergehen lassen müssen, erschreckend realistisch finden werden.

Die radikalste Vision zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit hat allerdings die arbeitslose Kathy in dem bislang leider nur auf Festivals gezeigten „Nasse Sachen“ von Sylke Rene Meyer. Ihre Idee: Man bildet 200.000 Jobsuchende zu Profikillern aus und lässt sie einfach den Rest umbringen.

Trotz aller guten Vorsätze: Überzeugend sind die neuen deutschen Weltverbessererfilme letztlich nur in der schwarzhumorigen Überzeichnung der Gegenwart und nicht in ihren konstruktiven Vorschlägen. Auch das kämpferisch-optimistische Ende von „Die fetten Jahre sind vorbei“ wirkte aufgesetzt; die Entwicklung des Herrn Mux vom Vorbild an Zivilcourage zum protofaschistischen Blockwart in „Muxmäuschenstill“ hatte dagegen eine beängstigende Folgerichtigkeit.

„Weltverbesserungsmaßnahmen“ gelingt zwar in zumindest zwei Episoden eine satirische Verdichtung aktueller gesellschaftspolitischer Fragen. Am Ende bleibt aber nicht viel mehr übrig als die Botschaft, dass wir nur unser Sozial- und Liebesleben in den Griff kriegen müssten, damit es uns wieder besser geht. „Die große Depression“ findet zwar mitunter komische und treffende Bilder für die Ursachen der deutschen Depression, am Ende fällt Konstantin Faigle aber auch nicht mehr ein als unserem Bundespräsidenten: Es muss ein Ruck durch Deutschland gehen. Wenn wir alle ein bisschen optimistischer, kreativer und vielleicht auch etwas chaotischer werden, dann wird das schon wieder.

„Weltverbesserungsmaßnahmen“. Regie/Buch: Jörn Hintzer, Jakob Hüfner. Deutschland 2004, 84 Min., ab heute im Kino. „Die große Depression“. Regie: Konstantin Faigle. Deutschland 2005, 88 Min. Kinostart 1. September