Wahlkreise scheitern an 5-Prozent-Hürde

Zwei Gutachten zur geplanten Reform des Bremer Wahlrechts kommen zu gegenteiligen Schlüssen. Klar ist nur: Die 5-Prozent-Hürde muss bleiben. Die von Mehr Demokratie e.V. vorgeschlagenen vielen kleinen Wahlkreise sind damit de facto vom Tisch

„Letztlich ist die Wahlrechtsreform eine Frage des politischen Willens.“

Bremen taz ■ Die vom Verein Mehr Demokratie e.V. vorgeschlagene Wahlrechtsreform lässt sich nur schwer mit der Bremer Landesverfassung in Einklang bringen. Das ist das Ergebnis zweier Gutachten, die der Wahlrechts-Ausschuss der Bremischen Bürgerschaft beim ehemaligen Präsidenten des Bremer Oberverwaltungsgerichts Günter Pottschmidt und dem Bielefelder Ordinarius für Öffentliches Recht Andreas Fisahn in Auftrag gegeben hat. „Wir werden Gesetzentwurf sicher an der einen oder anderen Stelle verändern müssen“, räumte Tim Weber von Mehr Demokratie e.V. ein.

Der Verein wollte die Abgeordneten nicht mehr nur wie bisher über Landeslisten wählen lassen, sondern zusätzlich die Wahl von DirektkandidatInnen in insgesamt acht Wahlkreisen ermöglichen, das Ziel: mehr Bürgernähe. Zudem sollte jede WählerIn bis zu zehn Stimmen verteilen dürfen – auch auf mehrere KandidatInnen und/oder auf mehrere Parteien – Wahlrechtsexperten bezeichnen das als „Kumulieren“ und „Panaschieren“. Vorbild war das im vergangenen Jahr per Volksentscheid erweiterte Hamburger Wahlrecht.

Pottschmidt erteilte dem Vorschlag jetzt eine deutliche Absage. Bremen und Bremerhaven in viele kleine Wahlkreise zu unterteilen, sei nach der Bremer Landesverfassung schlicht „unzulässig“, teilte er den Ausschuss-Mitgliedern mit. Darin nämlich sei festgeschrieben, dass die Bürgerschaft in zwei getrennten Wahlbereichen (Bremen und Bremerhaven) mit jeweils eigenständiger 5-Prozent-Hürde und fester Mandatszahl gewählt werden müsse – eine „Systementscheidung“, wie Pottschmidt sagt. Kandidierten künftig auch DirektkandidatInnen in Wahlkreisen, kritisiert der Jurist, könne das nicht nur zu Überhangmandaten und damit „riesigen Problemen“ führen. Vielmehr könne so auch die in der Verfassung verankerte 5-Prozent-Hürde unterlaufen werden.

Dieses Problem sieht auch der Bielefelder Rechtsprofessor Andreas Fisahn. Die 5-Prozent-Hürde, so sein Mitarbeiter Tobias Mushoff, sei „einer der entscheidenden Knackpunkte“ – der den Wahlrechtsvorschlag von Mehr Demokratie e.V. verfassungswidrig werden lasse. Im Gegensatz zu Pottschmidt hält Fisahn die Einrichtung kleiner Wahlkreise an sich durchaus für zulässig. Probleme sieht er dafür beim Kumulieren und Panaschieren, und zwar auch wegen des Kommunalwahlrechts für EU-AusländerInnen. Diese dürfen nämlich nur die Mitglieder der Stadtbürgerschaft, nicht aber des Landtags wählen.

Schon bisher führte das zu personellen Unterschieden zwischen beiden: in den Sitzungen der Stadtbürgerschaft muss etwa die SPD derzeit stets einen Sitz an die Grünen abtreten. Kumulieren und Panaschieren, so Fisahns Befürchtung, könnte die so genannte „Realunion“ von Stadtbürgerschaft und bremischen Abgeordneten im Landtag noch weiter aufweichen. Pottschmidt wiederum hält Kumulieren und Panaschieren an sich nicht für problematisch.

An den Einschränkungen durch die 5-Prozent-Hürde, sagte der Vertreter der Grünen im Wahlrechts-Ausschuss, Matthias Güldner, „wird man wahrscheinlich nicht vorbeikommen.“ Und ob unter diesen Bedingungen die Einführung von Wahlkreisen überhaupt noch Sinn habe, sei „eine offene Frage“.

Deutlicher drückt sich der SPD-Verhandlungsführer im Ausschuss Björn Tschöpe aus. Der Vorschlag, Wahlkreise zu schaffen, sei „tot – egal in welcher Konstruktion auch immer“. Politisch jedenfalls müsse man sich damit nicht mehr auseinander setzen. Das dürfte manchen gelegen kommen. „Wahlkreise“, ist hinter vorgehaltener Hand in der CDU zu hören, „will so recht keiner“. Offen ist, ob zumindest auf den Landeslisten künftig kumuliert und panaschiert werden darf. „Wenn das rechtlich möglich ist, werden wir das machen“, sagt Heiko Strohmann, der für die CDU im Wahlrechtsausschuss sitzt.

Weber hält – bis auf die 5-Prozent-Hürde – alle in den Gutachten aufgezeigten Probleme für lösbar. „Man kann lesen: ‚Es geht gar nichts.‘ Oder: ‚Es geht alles.‘“, kommentiert er: „Letztlich ist es eine Frage des politischen Willens.“ Armin Simon

Der Ausschuss wird die Expertisen auf einer öffentlichen Anhörung am 31. August um 14 Uhr im Raum 416 der Bürgerschaft (Börsenhof A) diskutieren.