Schneller Brüter

Viswanathan Anand wird Schnellschach-Weltmeister gegen den vielbeschäftigten Alexander Grischuk

MAINZ taz ■ Jan Ullrich hätte besser nach der Hälfte der Tour de France abends immer noch ein kleines Radkriterium fahren sollen, um ein paar Siege zu landen und ein Gefühl dafür zu bekommen, wie man einen übermächtigen Gegner in die Knie zwingt. Die These klingt abstrus. Aber bei der Schnellschach-WM machte Alexander Grischuk genau dies gegen den Lance Armstrong des Schachspiels. Der Russe lag gegen Viswanathan Anand zur Halbzeit der Chess Classic Mainz mit 0,5:3,5 hoffnungslos in Rückstand.

Trick des Russen

Der achte Erfolg war dem schnellen Brüter aus Indien nur noch theoretisch zu nehmen. Daher meldete sich Alexander Grischuk kurzerhand am Samstagmorgen beim Ordix Open an, dem weltweit stärksten offenen Schnellschach-Turnier.

„Ich dachte, der Tag würde zu langweilig werden, wenn ich nur auf den Beginn des Zweikampfs am Abend warte“, sagte der Moskauer. Die fünf Partien im Open kosteten zwar Kraft, bescherten Grischuk aber auch „ein Gefühl dafür, wie man eine Partie gewinnt“. Diese Kunstfertigkeit rettete der 21-Jährige dann sogar hinüber ins Match gegen den Weltranglisten-Ersten. Mit einem Remis und seinem ersten Sieg verkürzte der junge Russe auf 2:4. Nicht nur deswegen konnte Anand den ungewöhnlichen Schritt seines Herausforderers nachvollziehen. „Bei so einem Stand fällt einem im Hotelzimmer die Decke auf den Kopf. Da will man raus und nur vergessen“, befand der Baden-Badener Bundesligaspieler.

Grischuks Entscheidung drängte Anand psychologisch in die Defensive. „Nach dem glücklich zustande gekommenen 3,5:0,5 fiel bei mir die Anspannung ab, sodass Grischuk leichter ins Match zurückkommen konnte. Ich dachte nur noch daran, wie ich 4,5 Punkte erreiche“, resümierte der Tiger von Madras. Den sechsten Erfolg in Serie im Schnellschach-Mekka machte der 35-Jährige dann auch vorzeitig in der siebten Runde mit dem 5:2 perfekt. Doch auch hierbei musste der Kontrahent helfen. Im letzten Duell trumpfte Grischuk erneut auf und verkürzte zum 3:5-Endstand. Der Mainzer Rekordsieger erhielt nach sieben schwarzen Jacketts diesmal ein weißes Jackett von Organisator Hans-Walter Schmitt übergestreift.

Ein Hauch von Bollywood wehte durch die Rheingoldhalle: „Meine Frau Aruna freute sich schon darauf. Damit würde ich fast wie ein Filmstar aussehen, glaubt sie“, berichtete der alte und neue Schnellschach-Weltmeister schmunzelnd in seiner in deutsch gehaltenen Dankesrede.

Auch Grischuk war zufrieden und „bedauerte seinen Schritt, im Ordix Open mitzuspielen, keinen Moment“. Nach den Siegen 2003 und 2004, die ihn zur Herausforderung von Anand berechtigten, verpasste der Weltranglistenelfte diesmal als geteilter Zweiter (9:2 Punkte) den Hattrick hinter dem 18-jährigen Aserbaidschanischer Teimour Radjabow (9,5:1,5).

HARTMUT METZ