Krieg den T-Com-Häusern

Der Künstler Hans Winkler hat die Geschichte der Anarcho-Familie Held und die Kinderhütte ihres Sohnes John Heartfield rekonstruiert. Eine Betrachtung über das Hüttenwesen gestern und heute

Armenhaus-Designer bieten den letzten Berliner Proletariern praktische Beispiele

VON HELMUT HÖGE

Schräg gegenüber vom Postmuseum, das sich in eines für Kommunikation umbenannt hat, hat der Leipziger Künstler Lutz Dammbeck 2002 die nachgebaute Hütte von Henry David Thoreau aufgestellt. Die hatte sich diese 1845 für 28 Dollar in der Wildnis von Walden, Massachusetts, errichten lassen, um darin ein reduktionistisches Lebensexperiment durchzuführen, über das der Philosoph dann in seinem berühmt gewordenen Buch „Walden oder das Hüttenleben im Wald“ berichtete. Thoreaus „Beschränkung auf das Wesentliche“ lebte in den Debatten über neue Subsistenzwirtschaften wieder auf: Seine Datsche im Zentrum der Selbstversorgung wurde in den Siebzigerjahren Vorbild für den „Universities- und Airlines (UNA)-Bomber“ Theodore Kaczynski, nachdem der seine Mathematikprofessur in Berkeley aufgegeben und sich in die Wälder von Montana zurückgezogen hatte.

Das Museum für Kommunikation konterte mit dem sündhaft teuren „T-Com-Haus“ in seinem Garten, in dem der neueste Technikfirlefanz gleich tonnenweise eingebaut wurde. Auf dieses reagierten nun wiederum gleich drei Künstler im Rahmen der Ausstellung „Urbane Realitäten – Fokus Istanbul“ im Gropiusbau. Einmal Damien Deroubaix im Inneren mit dem bewohnbaren hölzernen „Dönerturm“, zum anderen Köbberlin und Kaltwasser, indem sie draußen auf dem Parkplatz eine dem T-Com-Haus gleichende Hütte aus „selbst organisiertem“ Abfallholz und Europaletten zusammennagelten.

Im Zuge der allgemeinen Verarmung und dem gestiegenen Zwang zur Flexibilität kommt diesen mobilen, preisgünstigen „Musterhäusern“ eine immer wichtiger werdende Funktion zu. Ob Hüttendörfer, Wagenburgen, Hausboote oder schwimmende Asylcontainer im Hamburger Hafen – ihr Charakteristikum ist das Flüchtige, Schnelle und Billige in der Bauweise und das Nomadische als Vorwand, Versprechen oder Drohung: Irgendwann werdet ihr weiterziehen! Schon spielen die ersten Textilunternehmer mit dem Gedanken, ganze Fabriken auf Schiffe zu packen: Wenn die Gewerkschaft Lohnerhöhungen oder einen Betriebsrat fordert, ruft der Kapitän/Unternehmer bloß: „Leinen los – wir legen am nächsten Billiglohnland an!“ Die Bugarchitektur der neuen Dienstleistungsunternehmen deutet diese Fahrtrichtung der Ökonomie bereits an.

Auf der anderen Seite ist es absehbar, dass nach Hartz IV und der Reduzierung von Mietkostenzuschüssen bald ganze Kolonnen von „überflüssigen Menschen“ sich an den Stadträndern in Wagenburgen, Abfallholzhäusern und auf ausrangierten Kähnen wiederfinden. „Flieht auf leichten Kähnen!“, riet Georg Trakl bereits den ersten Proletariern in Berlin. Den letzten bieten die alternativen „Rollheimer“ und künstlerischen Armenhaus-Designer nun praktische Anschauungsbeispiele.

Sie sind so etwas wie die Avantgarde der Pauperisierung und suchen nach akzeptablen Wohnformen für den „neuen Nomadismus“, der ihnen ebenfalls droht oder den sie leichtfertig begrüßen. Schon mehren sich die Grafikdesigner, die heute beim WDR und morgen bei RTL arbeiten – und währenddessen in Wohnwagen auf den Parkplätzen der Sendeanstalten leben. Auch Baufirmen stellen immer öfter Wohncontainer auf für ihre Montagekräfte. In Russland und Polen kann man Blechcontainer kaufen, die sich mit wenigen Handgriffen zu einem Verkaufskiosk umrüsten lassen: Wenn ein Standort unergiebig wird, stellt man das Ding woanders auf.

Lutz Dammbeck wurde gerade für seine zwei US-Hütten und seinen UNA-Bomber-Film „Das Netz“ von der Akademie der Künste geehrt. Dort findet nun im Rahmen der Ausstellung „Künstler. Archiv“ ein Gespräch über eine ganze Hüttenbauer-Dynastie statt, deren Nachlass sich teilweise im Akademiearchiv befindet. Der Künstler Hans Winkler hat aus der Geschichte dieser Dynastie eine regelrechte „Familien-Saga“ gestrickt und die Installation „Die Berghütte im Wald“ gebaut. Es geht dabei um den Dichter Franz Held, der durch seine Frau Alice Stolzenberg zum Anarchismus fand und Deutschland verlassen musste, nachdem man ihn wegen einiger staatsfeindlicher und gotteslästerlicher Schriften zu einer Gefängnisstrafe verurteilt hatte. Das Ehepaar siedelte sich in Almhütten an – erst in der Schweiz und dann bei Salzburg, wo Franz Held seine Schriftstellerei sausen ließ und zu trinken anfing. Seine Frau bekam derweil vier Kinder: Helmut, Hertha, Wieland und Charlotte. Die Söhne Helmut und Wieland wurden später unter ihren Künstlernamen John Heartfield und Wieland Herzfelde berühmt und fanden Eingang in das Akademiearchiv.

Die immer wunderlicher gewordenen Eltern, Franz Held und Alice Stolzenberg, ließen ihre Kinder eines Tages allein in der Hütte zurück – und verschwanden in den Bergen: Die Mutter steckte man 1900 in eine Irrenanstalt, kurz darauf wurde auch der Vater interniert – wofür ausgerechnet sein literarisches Vorbild Hendrik Ibsen sorgte, dem Franz Held als erster Stalker der Geschichte während einer Almwanderung begegnet war. Der Sohn John Heartfield, der sich erst den Dadaisten anschloss und dann als Fotomontagekünstler der KPD, emigrierte zunächst nach England, kehrte 1950 aber zurück – in die DDR, wo er sich durch Vermittlung von Bert Brecht in den Buckower Wäldern eine Hütte errichtete. Zuletzt baute er dort für seine Enkel noch eine zweite Hütte, die der seiner Eltern ähnelte.

Über seine Kindheit in der Salzburger Hütte, die ihm und seinem Schriftstellerbruder Wieland laut Hans Winkler „Sinnbild für Natur und kindliche Geborgenheit blieb“, notierte er allerdings nur: „1898 verloren wir die Eltern, der Vater war Dichter und Sozialist.“ Ihre familiale Hütten-Saga ist Teil der Reihe „Künstler.Archiv“, die von Helen Adkins kuratiert wird. Ihr ging es dabei darum, Künstler wie Boltanski, Gerz, Kabakov und Eva-Maria Schön, „einzuladen, über die Archivbestände nachzudenken und eine Art Neubewertung vorzunehmen“. Denn – mit einem Wort von Manfred Schneckenburger: „Nicht das Museum adelt das Leben, sondern der Alltag bringt das Museum zum Leuchten.“ In dem speziellen Fall Held bringt das Archiv unter den Bedingungen der neoliberalen Globalisierung und Deregulierung von oben selbst gebaute kleine Hütten quasi von unten zum Leuchten. Das ist doch nicht nichts!

Diskussion und Lesung zur „Held Saga“ mit Hans Winkler finden morgen um 18 Uhr im Wintergarten der Akademie der Künste am Pariser Platz 4 statt. Die Ausstellung „Künstler.Archiv“ läuft noch bis zum 28. 8., Di.–So. 11–20 Uhr in der Akademie der Künste