RUSSLANDS POLITIK FÜHLT SICH VON POLENS ZIVILGESELLSCHAFT BEDROHT
: Patriotismus, wenn die Visionen fehlen

Seit langem schwelt es in den Beziehungen zwischen Russland und Polen. Spätestens seit der „orangenen Revolution“ in Kiew ruft das selbstbewusste Treiben des polnischen Nachbarn im Kreml wachsenden Unmut hervor. Es bedurfte daher nur eines äußeren Anlasses, um der Unzufriedenheit Luft zu machen. Der Überfall polnischer Skins auf Kinder russischer Botschaftsangehöriger in Warschau kam fast wie bestellt. Seither herrscht Kalter Krieg zwischen Warschau und Moskau. Vom Kreml gesteuerte Kampagnen, sei es gegen die USA oder die ehemaligen Sowjetrepubliken, insbesondere Georgien und Estland, sind keine Seltenheit. Ein Schuss Patriotismus schadet niemandem und garantiert die Schläfrigkeit des Fußvolks. Einer orientierungslosen Führung dienen solche Kampagnen als Ersatz für eine Zukunftsvision.

Polen weist Russland zwar einen Weg in eine zivilere Zukunft, zugleich zeigt dessen steigendes Gewicht in Europa dem Nachbarn in Osteuropa aber auch Grenzen auf. Ohne dessen massive Werbung für den demokratischen Aufbruch der Ukraine – in der EU und in Washington – hätte den Wahlmanipulationen des Kreml niemand etwas entgegengesetzt. Polens Präsident Kwaśniewski brachte dem Kremlherrn stattdessen eine empfindliche Niederlage bei. Gewinnt Polen an Kraft, geht dies auf Kosten des riesigen Nachbarn, argwöhnen russische Patrioten. Und ganz falsch ist dies nicht. Letztlich war es die Solidarność, die in den 80er-Jahren die Auflösung des Sowjetimperiums einläutete. Moskaus eingerosteter Autoritarismus war selbst rudimentären Relikten von Zivilität nicht mehr gewachsen. Ein Gegensatz, der die polnisch-russische Geschichte seit Jahrhunderten prägt.

So zählen die Polen auch zu den glaubwürdigsten Anwälten der vom russischen Genozid im Kaukasus bedrohten Tschetschenen. Warschau nennt die Dinge beim Namen, während Europa wegschaut. Die Unbeugsamkeit des Kaukasusvolkes erinnert die Polen an den eigenen Widerstand gegen das Zarenreich. Die alte Ordnung geriet damals ins Wanken. Kein Wunder, wenn der Kreml darin ein Menetekel erkennt. KLAUS-HELGE DONATH