Jürgen Klopps Vorliebe für rosa Oberhemden

Schriften zu Zeitschriften: „Rund“, das neue Fußballmonatsmagazin, ist auf der Suche nach einer Welt der klaren Regeln – damit man die Regelverstöße verkaufen kann

Was kann der in Computerkreisen als „underscore“ bekannte Unterstrich _ bloß mit Fußball zu tun haben? Die Frage kommt einem unweigerlich in den Sinn, wenn man das frische Layout der neuen, im Olympia-Verlag erscheinenden Fußballmonatszeitschrift Rund bewundert: Seite um Seite fällt hier der Blick auf dieses typografische Zeichen. Dessen Funktion kannte in Zeiten der mechanischen Schreibmaschine noch jeder: Man ließ den Schlitten auf der bereits getippten Zeile zurückrasseln und konnte seinen Text im zweiten Durchgang unterstreichen. Heute hat der Unterstrich seine Identität gewandelt: In E-Mail-Adressen und CD-ROM-Dateisystemen überbrückt er eine Leere, wo nach der ISO-Norm 9660 möglichst keine sein sollte: zwischen zwei Worten.

An so etwas müssen auch die Macher von Rund gedacht haben, die in ihrer ersten Ausgabe „#1_08_2005“ anscheinend die ontologische Barriere zwischen Fußballrasen und tertiärem Sektor überbrücken wollen. Man könnte auch sagen: Von der Perspektive des Fußballs einmal die ganze unsportliche Gesellschaft in den Blick nehmen und die gerade in höheren Bildungsschichten anzutreffende missliche Attitüde, dem populären Volkssport eine grundehrliche Bodenständigkeit anzudichten, etwas entkrampfen. Erst so kann man Adi Preisslers einschüchterndes Diktum „Grau ist alle Theorie, entscheidend ist auf’m Platz“, das dem Magazin auf einer Farbpostkarte beigeheftet ist, selbstkritisch wenden und die zivilisatorische Grenzerfahrung dieser Sportart wieder ernsthaft in den Blick nehmen.

Das ist oft nur mühsam in Worte zu fassen. So reflektiert der Gladbacher Mittelfeldspieler Thomas Broich in seiner Kolumne relativ kühl „die oftmals verkannte Funktion des Fußballspielers als Dienstleister“, um im folgenden Satz „von dem lodernden Fußballfeuer in meinem Inneren“ zu filibustieren. Man ahnt: Gerade jenes knappe Bevölkerungsdrittel, dem – einer improvisierten Rund-Umfrage zufolge – Fußball noch nicht wichtiger als Politik geworden ist, hat hier noch ein Restmisstrauen zu überwinden – auch sich selbst und der eigenen Fanhaltung gegenüber. Daher hat es wohl auch eine Stellvertreter-Funktion, wenn die Rund-Redaktion das Lügendetektor-Interview wiederbelebt hat. Hier gesteht der Mainzer Trainer Jürgen Klopp seine heimliche Vorliebe für rosa Oberhemden: „Ich habe mir gerade eines gekauft, auch noch aus Leinen, weil mich der homosexuelle Verkäufer und Ulla darin bestärkt haben.“ Wie gut, dass der Lügendetektor auch manchmal anschlägt. Erst so rückt Klopp damit heraus, seinem Freund Sandro Schwarz im Training schon mal eine Kopfnuss verpasst zu haben: „Ich wollte sterben, nur noch sterben, so furchtbar unangenehm war mir das.“ Die Redaktion zieht daher ein ungebrochen positives Fazit: „Mit der Wahrheit tut sich Jürgen Klopp nicht schwer, auch wenn er unangenehme Dinge schnell verdrängt.“

Letztlich geht es in der Grenzerfahrung ja auch um die Suche nach einer Welt mit klaren Regeln, klaren Gefühlen und geradlinigen Charakteren, in die man sich problemlos einfühlt. Wohl deshalb kann sich der beim VfL Wolfsburg kickende guineische Nationalspieler Pablo Thiam im Porträt auch nicht verkneifen, wieder einmal den populären Mythos vom Fußballstar als gewöhnlichem Menschen zu verbreiten: „Ich esse jeden morgen das Gleiche. Diese Dinge passieren alle ganz automatisch. Abwechslung gibt es nur dann, wenn mich meine Frau zum Bahnhof fährt.“

So kann man auch Rainer Schäfers Porträt von Franz Beckenbauers Bruder Walter verstehen, der als Einmannunternehmer eine Agentur betreibt, „die sich um die Herstellung von Magazinen und Broschüren kümmert“. Ehrgeizig und jähzornig wie der jüngere Bruder ist Walter Beckenbauer immer seinen eigenen Weg gegangen. Wie Schäfer erfahren hat, auch in politischen Fragen: „Die soziale Schieflage im Land oder die Folgen der Globalisierung beschäftigen ihn nachhaltig.“

Doch wie beruhigend eng die fußballtypische Dialektik von Regel und Regelverstoß auch auf dem Platz mit dem zivilisatorischen Alltag verzahnt ist, erfährt man erst in Oliver Lücks Beitrag über den Liverpooler Serienflitzer Mark Roberts: „Regelmäßig engagiert ihn ein Online-Spielcasino, dessen Namen er dann auf Brust und Hintern trägt.“ Das ist ebenso echt wie die „Schnitte, Narben, Brüche an Zehen, Rippen und Knöcheln“, die sich Roberts ebenso regelmäßig bei seinen Spieleinsätzen einfängt. „Roberts macht wahr, wovon tausende träumen: Er steht im Mittelpunkt, im hautnahen Kontakt mit den Superstars, denen er für einige Augenblicke die Schau stiehlt“, wagt Oliver Lück zu behaupten.

Bei der eigenen Leserschaft geht man lieber auf Nummer sicher: Wer ein Rund-Mini-Abo zeichnet, bekommt als Dreingabe einen kleinen, zum Flitzen und Fußballspielen völlig untauglichen Ventilator mit USB- Anschluss, den man sich an seine Tastatur klemmen kann.

JAN-HENDRIK WULF

Rund #1_08_2005_2,80EUR