Russlands rechtsradikale Szene rüstet auf

Moskauer Menschenrechtsorganisation legt Bericht zu Rassismus und Antisemitismus vor. Zahl der Skinheads wächst

MOSKAU taz ■ Russlands rechtsradikale Szene ist im Begriff, „parallele Machtstrukturen“ und „bewaffnete Einheiten“ aufzubauen. Zu diesem Ergebnis gelangt das Moskauer Büro für Menschenrechte (MBM), das diese Woche den von der EU mitgeförderten Halbjahresbericht 2005 „Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, ethnische Diskriminierung und Antisemitismus in Russland“ vorstellte.

Besonders aktiv ist der Slawische Bund (Slawianski Sojus), abgekürzt SS, der seine Mitglieder aufrief, eine Bürgerwehr zu gründen. Unterstützt wird der Bund von der „Bewegung gegen illegale Immigration“, die mit einem konspirativen Netz von fünfköpfigen Gruppen arbeitet. Die Organisation „Woenno-derschawni Sojus“, Staats-Kriegs-Bund, forderte seine Sympathisanten auf, neben mobilen militärischen Einsatzkommandos „Volkstribunale“ aufzustellen.

Die Skinhead-Bewegung, klagen die Autoren, fülle ihre Reihen unbehelligt in aller Öffentlichkeit. So warb der „Allgemeinrussische Bund“ der Skins in der Zeitung Rubesch für ein Sommerlager in Wladimir, wo „Strukturen mit erhöhtem Mobilisationspotenzial“ eingerichtet werden. Nicht nur die „Grundlagen nationaler Identität“ werden am Lagerfeuer vermittelt, mit „Überlebenstraining in Extremsituationen“ und „angewandter Konfliktologie“ werden die Jugendlichen für den bewaffneten Kampf fit gemacht. Denn, so die Veranstalter, „Wahlen wird es in Russland bald nicht mehr geben“.

Die meisten rassistisch motivierten Überfälle und Morde in Russland gehen auf das Konto von Skinheads. Nach Schätzungen des MBM gehören 50.000 Jugendliche der Szene an – Tendenz steigend. Das widerspricht der Darstellung des Innenministeriums, das landesweit höchstens 10.000 Kurzgeschorene ausfindig gemacht haben will.

Grundsätzlich begegne der Staat den Gewalttätern mit sehr viel Nachsicht, so der Autor des Berichts, Semon Tscharni. Moskaus Polizeichef Wladimir Pronin leugne die Existenz von Skins in der Hauptstadt. Im ersten Halbjahr verübten Skinheads zehn Morde und schlugen mehr als 200 Menschen aus rassistischen Motiven zusammen. Immerhin positiv: im gleichen Vorjahreszeitraum waren es noch 30 Mordtaten. Auffällig ist, dass die Justiz bei rassistischen Straftätern gerne ein Auge zudrückt. Nur sechs Täter wurden 2005 verurteilt. Dahinter steht die Maxime, die wachsende Ausländerfeindlichkeit und Unduldsamkeit nichtrussischstämmigen Staatsbürgern gegenüber herunterzuspielen.

Die Generalstaatsanwaltschaft geht mit fragwürdigem Beispiel voran. Als 19 Duma-Abgeordnete im Januar das Verbot aller jüdischen Organisationen in Russland forderten, konnte der Staatsanwalt keinen antisemitischen Hintergrund feststellen. Im Interesse der Selbsterhaltung spielt der Kreml mit nationalistischen und chauvinistischen Ideologemen. Davon zeugt auch die vom Kreml instrumentalisierte Jugendbewegung „naschi“ – die „Unsrigen“, deren geistige Nähe zu extremistischem Gedankengut viele das Fürchten lehrt. KLAUS-HELGE DONATH