Schamanen sehen dich an

Grenzerfahrungen: Der Defa-Regisseur Rainer Simon hat einen Regenwald-Roman geschrieben. Das Buch heißt „Die Regenbogenboa“ und spielt in Ecuador. Zwischen stinkenden Blüten stellt sich die Frage: Wer spricht da eigentlich?

Rainer Simons Interesse für die Indianer Ecuadors begann 1988. Da führte Simon Regie bei dem Defa-Spielfilm „Die Besteigung des Chimborazo“ und machte sich mit Lebensweise, Kultur und Geschichte der Indianer am Chimborazo bekannt. Der 1941 im sächsischen Hainichen geborene und an der Filmhochschule in Potsdam ausgebildete Regisseur hatte auch davor schon für das Defa-Spielfilmstudio gearbeitet und große Filme wie „Wie heiratet man einen König“ (1969) und „Till Eulenspiegel“ (1973/74) gedreht. Für „Die Frau und der Fremde“, eine Liebesgeschichte aus dem Ersten Weltkrieg, erhielt er 1985 den Goldenen Berlinale-Bären. Nach 1989 reiste Simon immer wieder nach Ecuador zurück und produzierte weitere Filme über die und mit den Indianern des Landes.

Nun hat er auch in seinem Romandebüt das Wandern zwischen den Welten einerseits und die indianische Kultur andererseits zum Thema gemacht. Simons „Regenbogenboa“ beginnt übersichtlich: Der deutsche Gregorio hat 30 Jahre im Urwald Ecuadors gelebt, nach seinem Tod kommt seine Tochter Anna in den Urwald, wohnt der Bestattungszeremonie bei und findet in der Hütte des Toten eine Kassette mit ungeordneten Aufzeichnungen. In diesen Aufzeichnungen verflechten sich die Erfahrungen Gregorios in der indianischen Welt mit seinen Kindheits-und Jugenderinnerungen aus der deutschen Nachkriegszeit. So weit, so gut.

Der Roman entwickelt sich um Tagträume, Legenden, Schamanenrituale, Expeditionen und Frühstücksgetränke, die zur besseren Verdauung erbrochen werden müssen. Es geht um sexuelle Gastfreundschaft und die Lage der Geschlechtsorgane. Hinzu kommen die üblichen Konstanten des Regenwaldromans: Sumpf, Kanufahren, Hitze, Insekten, stinkende Blüten.

Es erzählen aber nicht nur Tochter Anna und Vater Gregorio – der in seinen Aufzeichnungen von sich als dritter Person spricht, hin und wieder aber auch zum „Ich“ wechselt. Erschwerend kommt hinzu, dass auch viele andere Figuren aus Gregorios Geschichte heraustreten und unvermittelt zu Ich-Erzählern werden. So ist der unermüdliche Leser, der sich verzweifelt wünscht, irgendwie folgen zu können, froh, wenn es gelegentlich zurück in die deutsche Vor-und Nachkriegszeit geht. Denn die Kindheit von Erzähler Gregorio hat neben Bomben-, Flucht- und Russenerlebnissen auch hübsch gestaltete magische Momente. Da aber alle unterschiedlichen Erzähler außerhalb der historisierenden Parts ständig spirituelle Grenzerfahrungen machen, in denen die Beschränkung von Zeit und Raum aufgehoben ist, wird es schwierig.

Was ist echt, was imaginiert, was halluziniert? Wo sind wir, wer spricht? Wer ist das jetzt wieder? Ist das jetzt magischer Realismus oder einfach nur total wirr? Das alles fragt sich der überforderte Leser irgendwann. Nun sollen durch die unorthodoxe Erzählweise wahrscheinlich kulturelle Grenzen und jene zwischen Fiktion und Wirklichkeit verwischt werden. Aber wo sich die hispano-amerikanischen Romane eines Márquez, Fuentes oder sogar Carlos Castaneda trotz magischer Wirklichkeitsauffassung schön herunterlesen lassen, ist bei Simon die Dimension des Traumhaften nur ungenügend mit der Abenteuererzählung verknüpft. Vielleicht schwebte ihm bei der Konzeption der „Regenbogenboa“ eine allzu filmische Schreibweise vor. So ist „Die Regenbogenboa“ in jedem Fall eine Herausforderung an den Leser.

CHRISTIANE RÖSINGER

Rainer Simon: „Die Regenbogenboa“. Schwartzkopff/Buchwerke, Berlin/Hamburg 2005. 312 Seiten, 22,50 Euro