Die Bomber machen Klick

VON FLORIAN HARMS

Die Botschaft der virtuellen Bildcollage ist unmissverständlich: Eine Bombe mit brennender Zündschnur fällt auf einen Stadtplan, darunter die Parole: „New York, Madrid und London waren erst der Anfang“. Ein Mausklick weiter: Digitalkamerabilder dokumentieren den Angriff auf einen US-Panzer im Irak, der in Flammen aufgeht. Wieder ein Klick weiter: Zwei gekreuzte Schwerter über dem Satz: „Ich möchte für dich meinen Vater, meine Mutter und meine Seele opfern, oh Abu Abdallah“ (so wird Ussama Bin Laden häufig von seinen Anhängern genannt).

Keine Frage: Die Zahl islamistischer Websites ist in den vergangenen fünf Jahren explodiert. Wer das Netz mit Hilfe arabischer Suchmaschinen nach Begriffen wie „Dschihad“, „Ussama bin Laden“ oder „Kampf gegen Ungläubige“ durchforstet, stößt auf hunderte von Sites, die den militanten Kampf gegen den Westen verherrlichen. Oberflächlich besehen scheint kaum zwischen terroristischen Anschlägen wie jenen in London und den Guerilla-Aktionen von Freischärlern im Irak, in Afghanistan und Tschetschenien unterschieden zu werden. Pamphlete hasserfüllter Agitatoren, aggressive „Fatwas“ selbst ernannter Muftis und Videos von Kampfszenen verschwimmen auf dem Bildschirm zu einem universalen und geeinten Aufstand gegen den gottlosen westlichen Imperialismus.

Die virtuelle Bilderflut hat manche Fachleute dazu verleitet, Reichweite und Möglichkeiten der islamistischen Websites zu überschätzen. Der angesehene französische Islamwissenschaftler Gilles Kepel etwa hat kürzlich in einem Beitrag für die französische Tageszeitung Le Figaro geargwöhnt, hier entstehe eine „neue virtuelle Umma“ (Gemeinschaft aller Muslime). Vermag also ein technologisches Kommunikationsmittel binnen kürzester Zeit zu leisten, woran seit der Abschaffung des Kalifats im Jahr 1924 muslimische Politiker und Intellektuelle, Imame und Missionare dutzendfach gescheitert sind?

Die These Kepels ist nicht neu. Bereits vor zehn Jahren hat der US-Anthropologe Jon W. Anderson unter Bezugnahme auf eine Theorie des Politikwissenschaftlers Benedict Anderson, der zufolge Nationen aufgrund gemeinsamer Merkmale wie Werte, Sprache und Lebensbedingungen entstehen, die „virtuelle Umma“ beschworen. Wer jedoch regelmäßig islamistische Websites besucht, stellt fest, dass die verschiedenen Akteure – Organisationen, Kleingruppen oder Einzelpersonen – niemals losgelöst von ihrem real existierenden Umfeld agieren und in ihren Inhalten, Codes, Strategien und Methoden nur selten übereinstimmen. Während sich etwa die irakische Site Al-Basrah.net ganz dem Widerstandskampf gegen die amerikanischen Besatzer widmet, verherrlicht das saudische Portal „Al-Majalla al-Islamiya“ (Das islamische Magazin) Ussama bin Laden; wohingegen die Site der britischen Organisation „Islamic Truth“ islamistische Rap-Songs verbreitet.

Adressaten im Westen

Unbestritten ist, dass „geschlossene“ Internet-Dienste wie E-Mail, Chatrooms und Mailing-Listen den über zahlreiche Staaten verteilten militanten Islamisten als interne Kommunikationskanäle dienen. In arabischen Online-Foren wie „Al-Qalaa“ (Die Festung), „Al-Hisba“ (Die Moral) und „Tajdeed“ (Erneuerung) werden detaillierte Tipps für Anschläge verbreitet. Nach Attacken wie jenen in London überschlagen sich die Mitteilungen der Teilnehmer. Zwischen ablehnenden Beiträgen finden sich auch viele zustimmende Kommentare: „Endlich trifft es die Kreuzfahrer in ihrem Herzen!“ und „Ich möchte mich al-Qaida anschließen – wer kann mir weiterhelfen?“ Über einen an den E-Mail-Verkehr anschließenden persönlichen Kontakt können solche Dialoge in Einzelfällen womöglich in die Militanz führen.

„Das zentrale Forum für den terroristischen Diskurs ist heute das Internet. Islamistische Websites und Chatrooms sind voll mit Auswertungen gegenwärtiger Ereignisse, Strategiediskussionen und Ausarbeitungen der Dschihadisten-Ideologie“, haben Daniel Benjamin und Gabriel Weimann unlängst in der New York Times geschrieben. Das ist grundsätzlich nicht falsch, doch wen erreichen die islamistischen Online-Aktivisten überhaupt? In den meisten Ländern der islamischen Welt ist der Prozentsatz der Internet-Nutzer äußerst gering: unter zwei Prozent in Marokko, Algerien, Syrien, Irak, Iran, Jemen und Pakistan; unter fünf Prozent in Tunesien, Ägypten und Jordanien. Deutlich höhere Zahlen weisen nur Golfstaaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate (49 Prozent) und Bahrain (21 Prozent) sowie Malaysia (44 Prozent) auf. Selbst Saudi-Arabien erreicht nur 11 Prozent. Diese Zahlen verdeutlichen, dass das Internet militanten Aktivisten zwar als effektiver interner Kommunikationskanal dienen mag. Eine breitere Außenwirkung können die Dschihad-Websites jedoch bislang nur in wenigen muslimischen Ländern entfalten.

Hinzu kommt der Druck westlicher Sicherheitsorgane. Viele Websites werden binnen kurzem von Ermittlern aufgespürt und gesperrt. So hat ein US-Computerfachmann die al-Qaida zugeschriebene Site Alneda.com geknackt und mit dem Schriftzug „Hacked, tracked and now owned by the USA“ versehen. Viele militante Aktivisten sind deshalb dazu übergegangen, ihre Botschaften unter ständig wechselnden Adressen zu verbreiten. Dieser Wettlauf hat zur Folge, dass viele Nachrichten nur einen Kreis eingeweihter Personen erreichen – selbst wenn die Adressen in Chatrooms und Mailing-Listen weitergegeben werden.

Anders verhält es sich mit jenen islamistischen Botschaften, die sich ausdrücklich an die Öffentlichkeit richten: Die Zahl ihrer Empfänger erhöht sich drastisch, wenn sie von Medien aufgegriffen und verbreitet werden. Dieser Potenzierungseffekt ist die eigentliche Propagandawaffe der Militanten. Die Website des arabischen Nachrichtensenders al-Dschasira ist ein Beispiel. Wenn der Sender eine Mitteilung eines führenden Al-Qaida-Mitglieds zugespielt bekommt, wird die Ausstrahlungszeit dort marktschreierisch angekündigt. Rita Katz, Direktorin des Site Institute, das im Auftrag der US-Regierung islamistische Websites beobachtet, hat die mediale Wirkungssteigerung am Beispiel des Terroristen Abu Mussab al-Sarkawi so beschrieben: „Sarkawi hat in den vergangenen Jahren enormen Erfolg gehabt. Und ich glaube, dass das Internet sehr viel zu seinem Ansehen beiträgt.“

Dateien wie etwa die Videos der Sarkawi-Gruppe von Morden an Geiseln im Irak sind jedoch mehrere Megabyte groß, weshalb das Herunterladen selbst mit einem schnellen Rechner und einem Zip-Programm bis zu einer Stunde oder sogar länger dauert. Von den reichen Golfstaaten abgesehen, können es sich nur sehr wenige Menschen in der islamischen Welt leisten, mehrere Stunden lang im Internet zu surfen. Sowohl die Kosten für Hardware als auch die Gebühren in Internetcafés sind um ein Vielfaches höher als in Europa.

Anders sieht es in westlichen Staaten aus, wo mehr als die Hälfte der Bevölkerung das Internet regelmäßig nutzt. Durch die Globalisierung und mithilfe neuer Medien wie Satellitenfernsehen und Internet erlangen muslimische Gemeinschaften im Westen überproportional großen Einfluss: Sie verstärken ihre Außenwirkung um ein Vielfaches und stellen so nicht nur die Dominanz der muslimischen Kernländer infrage, sondern können auch das Erscheinungsbild der Religion verändern. Dabei fällt auf, dass viele junge Muslime dazu tendieren, sich weniger auf die tradierte Verrichtung der rituellen Praktiken zu beschränken, sondern den Glauben neu für sich entdecken. Sie hinterfragen herkömmliche Autoritäten und deren Relevanz in der heutigen Zeit ebenso wie das Verhältnis zu anderen Kulturen. In Einzelfällen kann diese Sinnsuche in die Gewalt führen, was der bekannteste und umstrittenste muslimische Prediger in Europa, Tariq Ramadan, kürzlich in einem Beitrag für die arabische Zeitung Al-Sharq al-Awsat erläutert hat. Ramadan fordert von den Muslimen im Westen mehr Selbstkritik und eine breite Diskussion über ihre Schwierigkeit mit dem Leben in einer „unislamischen Umwelt“. Denn Identitätsprobleme führten häufig zu einem „emotionalen und psychischen Ungleichgewicht“ und zu „Schuldgefühlen“, wodurch besonders junge Menschen anfälliger für die Einflüsterungen von Extremisten würden.

Beobachten oder sperren?

Diese Islamisten im Westen verfallen mitunter auf bizarre Ideen, um ihren Dschihad medientauglich zu propagieren. Ein Beispiel ist der so genannte Terror-Song „Dirty Kuffar“ (Dreckige Ungläubige) des britischen Rappers Shaikh Terra. Maskiert, in einen Tarnanzug gewandet und mit Koran und Pistole fuchtelnd, rappt der „Shaikh“ vor einer schwarzen Fahne mit dem islamischen Glaubensbekenntnis und ruft zum „heiligen Krieg gegen die Kreuzzügler“ auf: „Peace to Hamas and the Hisbullah, OBL (Osama bin Laden) pulled me like a shiny star.“ Am Ende sind die in das World Trade Center krachenden Flugzeuge zu sehen, im Hintergrund ertönt hämisches Gelächter. Das auf britischen Servern abgelegte Video kursierte im vergangenen Jahr auf zahlreichen Websites und soll sich unter arabischstämmigen Jugendlichen in Großbritannien und Frankreich großer Beliebtheit erfreut haben.

Die Sicherheitsbehörden stehen nun vor der Frage, wie man mit solchen virtuellen Drohungen umgehen soll. „Ich weiß wirklich nicht, warum solche Sites nicht (zwangsweise) von den Servern genommen werden“, sagt Reuven Paz, Direktor des Israelischen Projekts zur Erforschung Islamistischer Bewegungen (PRISM). So sei etwa seit langem bekannt, dass die britischen Betreiber des Forums „Tajdeed.org“, in dem ein „Leitfaden für die städtische Kriegsführung“ und nach den Londoner Anschlägen eines der zwei Bekennerschreiben veröffentlicht wurde, Verbindungen zu al-Qaida unterhielten. Dem halten FBI-Ermittler entgegen, dass eine kontinuierliche Beobachtung der islamistischen Szene nur möglich sei, wenn man deren virtuelle Kommunikation zulasse – und verfolge. „Indem wir diese Websites beobachten, können wir herausfinden, welche Bedrohung von ihnen ausgeht“, sagt auch Rita Kaz vom Site Institute. Angesichts ihrer großen Zahl scheint es allerdings ohnehin illusorisch, alle fraglichen Sites zu sperren.