Der Baum sagt nichts

Im Auftrag von Greenpeace bereiste der Fotograf Markus Mauthe die letzten verbleibenden Urwälder, um deren Zustand zu dokumentieren. Am Wochenende präsentierte er die Ergebnisse in Form eines Diavortrags in Berlin

Von der Krise der unabhängigen Umweltschutzorganisationen war am vergangenen Freitag im Freiluftkino der staatlichen Museen in Berlin-Dahlem auf den ersten Blick nichts zu spüren. Im voll besetzten Kino erzählte der Fotograf Markus Mauthe von einer gelungenen Aktion von Greenpeace in Chile: Sie hat den Neubau einer Fabrik in einem landschaftlich und ökologisch schützenswerten Gebiet verhindert. Der danach einsetzende Beifall der Kinobesucher ließ einen für ein paar Minuten im Zweifel. Im gesetzten Dahlem jubiliert ein ebenso gesetztes Publikum, das alle Altersstufen von sechs bis siebzig Jahren bürgerlich repräsentiert, über die Verhinderung der Schaffung von Arbeitsplätzen in Wahlkampfzeiten hierzulande?

Widerstand lohnt sich, hatte Mauthe kurz zuvor resümiert,und in Dahlem schien man ähnlich zu denken. Verblüffend daran war, dass die allgemeine Zustimmung sich ganz zu Beginn eines Diavortrags über „Abenteuerliche Reisen in die Urwälder der Erde“ Luft verschaffte und insofern nicht als Resümee des Abends verstanden werden konnte, sondern eher als sowieso schon vorhandene Grundstimmung.

Greenpeace setzt sich seit Jahren in einer öffentlich im Unterschied zu früheren Aktionen wenig wahrgenommenen Waldkampagne für die letzten auf der Erde verbliebenen Urwälder ein. Im Rahmen dieser Kampagne hat die Umweltorganisation Markus Mauthe beauftragt, Papua-Neuguinea, Zentralafrika, Sibirien, Finnland und Patagonien zu bereisen und den Zustand der Wälder dort zu dokumentieren. Und was dabei herausgekommen ist, kann sich sehen lassen. Es sind Fotos von teilweise bestechender Schönheit entstanden, die den Wald nicht als Erlebnispark vorführen. Wenn Mauthe zum Beispiel Buchen aus Patagonien zeigt und dazu anmerkt, dass die Bäume 700 Jahre alt werden können, kann man sich sicher sein, dass er nicht den größten und malerischsten Baum ausgewählt hat. So gelingt es ihm in seinen Fotos tatsächlich, die Gelassenheit und Ausdauer vor sich hin wachsender Bäume einzufangen.

„Der Baum ist, doch sagt er nichts“, hat Walt Whitman mal in einer schönen Notiz zu „Was ein Baum uns lehrt“ notiert. Das Sagen übernehmen andere. Und dabei wird es schwierig – etwa dann, wenn Mauthe in seinem Vortrag die Geschichte Patagoniens mit der Kolonisierung Nordamerikas parallelisiert. Die frühen Farmer mussten Wälder roden, um Land für Ackerbau und Viehherden brauchbar zu machen. Das war in Europa auch nicht anders. Nur wird der Sprung in die Gegenwart etwas zu schnell vollzogen, wenn dieser Teil der Geschichte als irreversibel abgehakt wird. Die Farmer, sagte Mauthe, seien heute nicht mehr das Problem für die Existenz der gemäßigten Regenwälder in Chile, sondern die industrielle Holznutzung. Und mit der industriellen Holznutzung führt er sozusagen den Gegner seines Vortags ein, nämlich die reichen, entwickelten Länder der Erde. Das ist nicht deshalb problematisch, weil er ja vor lauter Einwohnern der „reichen Länder“ seine Vorträge hält, sondern deshalb, weil sein Text – im Unterschied zu seinen Bildern – durchzogen ist von Versatzstücken genau jener Mythologien, mit denen eben gerade in den reichen Ländern Natur vorgeführt wird. Zum Beispiel ist er mit „Kameraden“ im Regenwald des Kongo unterwegs. Allein dieser nicht nur soziologisch völlig entleerte Begriff lässt einen zusammenzucken. Dabei macht Mauthe nicht den Fehler, die Schönheit der Urwälder im Kongobecken als angenehm vorzuführen. Dass man dort als Bewohner klimatisierter Häuser neben Moskitos auch andere fiese Sachen erleben kann, führt er an seinen von Parasiten durchlöcherten Füßen vor. Dieses Bild hat nichts Unappetitliches, es ist notwendig und wissenschaftlich interessant, also schön.

Man sollte die Wälder im Kongo lieber in Ruhe lassen und nicht hinreisen. Dem ist aber nicht so. Riesige Bagger, die neben den Urwaldbäumen dennoch wie Spielzeugautos wirken, fräsen sich durch das undurchdringliche Unterholz und werden auf die Dauer auch das Kongobecken entweder zur Wüste oder zu einem Urlaubsparadies wie Dubai machen. Welche Verheerungen dabei angerichtet werden, darüber erzählen Mauthes Bilder.

Urwälder gibt es nur noch sieben auf der Erde – und die haben nicht wie die Katze sieben Leben, sondern nur eins. Wie wir auch. Im Kapitalismus, hat Karl Marx einmal angemerkt, herrschen schlechte Zeiten für den Wald, weil die Zirkulation der Bäume nicht mit der Zirkulation des Geldes korrespondiert. Er wächst zu langsam. CORD RIECHELMANN