Schmatz, schlabber, schleck

Wider die öffentliche Fleischeslust: Der neue innere Zensor gegen Sex

Ist das nicht supersüßputzig, wenn zwei Menschenwesen zueinander finden in der Kraft der Liebe? Wenn die Lippen zart sich berühren wie die Schnäbel turtelnder Rotkehlchen? Sie ahnen es: Nein! Es ist nicht supersüßputzig. Es nervt. Zumindest wenn es die anderen sind, die vor den wehen Augen ihrer Artgenossen schmatzen und schnüsseln. Ist man selber involviert in das Balzen und Hormongeschüttel, verhält es sich komplizierter.

Selbstverständlich sind die Sexual- und Glücksbotenstoffe emsig unterwegs zwischen Kleinhirn, Parasympathikus und bäuchlings gebündelten Nervensträngen, und sie sorgen für abwechselnd wohlige Schauder, Hitzewallungen und, in den Knutschpausen, entrücktes Gegrinse. Doch meldet sich in den letzten Jahren verstärkt eine weitere psychoneuronale Instanz, eine Art internalisierter Miesmacher in der Großhirnrinde, und nörgelt herum und aktiviert Ekel und Widerwillen. Der Spaß an der Lust ist kaum mehr ungetrübt.

Das ist freilich nicht neu, das Vermiesen der Lust hat eine lange Tradition. Jahrhunderte meldete sich mit den Hormonen stets der innere Pfaffe und schimpfte und drohte mit Fegefeuer und Höllenqualen, stets waren den Blüten der Lust Keime der Scham beigemengt. Die säkulare Welt hat diese Keime in den vergangenen Jahrzehnten zum Teufel gejagt, den inneren Pfaffen mit einem kräftigen Tritt in den Arsch verscheucht. Nun könnte ja alles gut sein. Ist es aber nicht.

Kaum winkt ein zärtliches Stelldichein, kaum nähert sich die gespitzte Lippe der Angebeteten zum zarten Kuss, kaum berührt die Hand frivol den Schenkel und die ersten Lusthormone regen sich, wirft das neuronale Assoziationszentrum ungefragt Worte wie Busenkrieg, Wäscheluder oder Arschgeweih samt der entsprechenden Bilder in das Bewusstsein, schon fühlt man sich heruntergezogen auf die Ebene des dumpfen Mobs, des Bohlendieter, Bo-Bo-Boris oder von Sarah & Marc. Möchtest du wirklich tun, was jenen Subjekten eigen ist? Begeben wir uns jetzt auf das Niveau von RTL II?, fragt süffisant der innere Zensor. Und immer seltener nickt man verschämt und grummelt: Nur noch dies eine mal.

Der neue innere Zensor ist kein moralischer mehr wie damals, sondern ein ästhetischer, kein Pfaffe, sondern ein Kulturkritiker. Weil die Welt der Dummheit und Trivialität sich die Sexualität angeeignet hat, lässt sich beides nicht mehr auseinander halten. Wie früher stets der Beelzebub drohend auftauchte, wenn die Lust sich regte, so ist es heute das Ranzige der Boulevard- und Privatfunkmedien, das stets an der Lust klebt wie ein ausgelutschter Kaugummi am Absatz.

Er ist sogar noch wirksamer, der neue Zensor der Lust. Hat der alte Pfaffe uns noch den Reiz des Verbotenen beschert, so mutet der Kulturkritiker uns den Brechreiz des Penetranten und Abgeschmackten zu. Feinsinnigeren Menschen droht eine ästhetische bedingte Impotenz.

Vielleicht tut ja die neue christliche Regierung, auf die jetzt alle warten, etwas und verbietet Privatfernsehen und Bild-Zeitung. Dann werden wir alle katholisch, lassen uns das Bürsteln aus Lust vom Papa Ratzo verbieten und haben endlich wieder so richtig Spaß daran.

JOACHIM FRISCH