Wenn Polizisten kräftig zupacken

Immer wieder vergreifen sich Polizisten an verdächtigen Personen. 15 mögliche Misshandlungen durch Beamte hat die „AktionCourage“ bereits dokumentiert. Die Behörden sind aber lernfähig

VON OTTO DIEDERICHS

Wie ein gefährlicher Schläger sieht Cihan B. nicht aus. Dennoch soll der schmächtige Schüler Anfang August 2004 in einem Wilmersdorfer Schwimmbad als Rädelsführer eine Massenprügelei begonnen und dabei auch Polizeibeamte angegriffen haben. Aus seiner Sicht klingt das anders. Demnach wurde er auf einen Tumult in der Nähe des Sprungturmes aufmerksam und hatte sich neugierig genähert. Als die Situation eskalierte, sei er plötzlich von anderen Badegästen in den Schwitzkasten genommen und in eine Garderobe gebracht worden. Zivilpolizisten, die Diebstähle und Vandalismus verhindern sollten, wie sich herausstellte. Dort, so Cihan B., sei die Türe verschlossen und er minutenlang geschlagen worden. Verprügelt habe man ihn auch in einem Polizeiwagen und noch einmal in der Arrestzelle.

Juristisch ist der Fall bisher ebenso wenig aufgearbeitet wie der der russlanddeutschen Geschwister Christina und Sergej B., die im Dezember 2004 nach einem Polizeieinsatz in Neukölln mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus mussten. Auf Klärung wartet auch Ayse R. aus Lankwitz, deren Sohn Ende April 2005 Opfer eines nächtlichen SEK-Einsatzes wurde, als die Beamten auf der Suche nach einem Ladendieb die Wohnung gestürmt hatten. Insgesamt 27 Verletzungen habe ihr Sohn davon getragen, sagt die Mutter.

Drei Berliner Fälle während eines Jahres. 15 ähnliche Vorgänge haben „AktionCourage“ und „amnesty international“ für die Jahre 2000 bis 2003 dokumentiert. Wie hoch die Dunkelziffer ist, weiß niemand, denn oft erstatten Betroffene keine Anzeige, melden sich nicht bei Anwälten oder bei einer Hilfs- und Beratungsstelle wie etwa „ReachOut“ in Kreuzberg: Sie wollen das Erlebnis, von Polizeibeamten misshandelt worden zu sein, rasch vergessen oder fürchten zusätzliche persönliche Beeinträchtigungen durch anschließende Prozesse.

Solche Besorgnisse sind nicht ganz unberechtigt. Strafanzeigen gegen Polizisten kranken von vornherein daran, dass sie in der Regel bei eben jener Behörde vorgebracht werden, deren Angehörige davon betroffen sind. Ist diese Hürde genommen, dauert es meist nicht lange, bis den Anzeigenden ebenfalls eine Anzeige wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt oder Verleumdung ins Haus flattert – vorgebracht von den beschuldigten Beamten.

Bearbeitet werden solche Vorgänge beim Referat Beamtendelikte im Landeskriminalamt. Nicht ganz zu Unrecht wird seitens der Polizeiführung Wert darauf gelegt, dass deren Ermittler durchaus engagiert und bemüht seien, uniformierte Schläger in den eigenen Reihen zu überführen. Doch just diese Uniformierung verhindert häufig den endgültigen Beweis. Die jetzt beschlossene Kennzeichnungspflicht bis zur Gruppenstärke ist hier ein – wenn auch nicht ausreichender – Schritt in die richtige Richtung. Das nächste Problem liegt darin, dass die beschuldigten Beamten vor Gericht in der Regel mit mindestens ein bis zwei Entlastungszeugen aufwarten, während das Opfer während der Misshandlung meist allein war.

Zusätzliche Schwierigkeiten hat der FU-Wissenschaftler Tobias Singelstein in einer „abweichenden Bearbeitung solcher Verfahren“ ausgemacht. Er hat den Umgang der Staatsanwaltschaft mit Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte wegen Körperverletzung im Amt untersucht. Das Ergebnis: Diese Verfahren werden noch vor Prozesseröffnung erheblich häufiger eingestellt als solche gegen Normalbürger.

Als tendenziell fremdenfeindlich kann man Berlins Polizei jedoch nicht bezeichnen. Einer Untersuchung im Auftrag der niederländischen Polizei-Akademie hat die Berliner Polizei bereits recht frühzeitig damit begonnen, ihren Beamten und Beamtinnen interkulturelle Sichtweisen zu vermitteln und nimmt „gemessen am Bundesdurchschnitt auch heute noch eine engagierte Vorreiterrolle“ ein.

Dennoch sind nach den Erfahrungen von Harold Selowski, dem Initiator solcher Toleranzseminare, etwa 12 bis 15 Prozent der BeamtInnen „nicht zu erreichen“. Auf rund 5 Prozent schätzt er den völlig resistenten „Bodensatz“, der auch als Schläger in Frage komme, und plädiert hier für eine rasche Entfernung aus dem Polizeidienst – auch in Form eines Exempels.

Und noch etwas spricht gegen eine Stigmatisierung der Berliner Ordnungshüter. Während die Polizei die oben genannten Dokumentationen damals unterstützte, schiebt der parlamentarische Innenausschuss eine von den Grünen beantragte Anhörung bereits seit einem Jahr vor sich her. Offenbar ist hier die Berliner Polizei weiter als die Politik.