Sunshine, Sunshine Reggae

Manchmal war es warm auf eine weiche Art, manchmal verschlossen tagelang Wolken den Himmel über der Stadt. Der Sommer geizte dieses Jahr nicht mit Eyecatchern, er folgte einer Unterbrecherstrategie, um Aufmerksamkeit zu erregen. Anmerkungen zu dieser bislang eher seltsamen Jahreszeit

VON DETLEF KUHLBRODT

Bislang war der Sommer nicht so gut; wenn man ehrlich und aufrichtig ist, aber auch nicht wirklich schlecht. Schien die Sonne, meinte man, der Sommer sei doch super gewesen und dauere ja auch noch an; regnete es, schien alles vergebens gewesen zu sein und man träumte davon, in andere Gegenden zu ziehen.

Der Sommer geizte bislang nicht mit Eyecatchern, er verfolgte sozusagen eine Unterbrecherstrategie, um Aufmerksamkeit zu erregen. Wochen wechselnden Wetters scheinen länger zu sein als Wochen mit gleichförmigem Wetter. Wechselhaftigkeiten erregen die Aufmerksamkeit.

Grau verschlossen die Wolken über der Stadt den Himmel tagelang vielleicht auch deswegen, um in den Menschen am Schreibtisch keine Neidgefühle aufsteigen zu lassen. Manchmal war es warm auf eine weiche Art, die angenehm den Körper berührte und man vergaß sofort wieder, dass es zuvor depressiv, grau und grässlich gewesen war.

Ich behauptete vor zwei Wochen, der Sommer sei nun endgültig zu Ende, vielleicht auch, um ihn herauszufordern, mir das Gegenteil zu beweisen. Das tat er dann auch, allerdings auf eine charmante Art und nicht so brutal wie im vergangenen Jahr, als die Augusthitze die Menschen, die zwischen Nachmittagsfenstern und Computern zu sitzen pflegen, terrorisierte, als sei es nicht richtig zu schreiben.

Entgegen falschen Ansichten ist das Freibad eigentlich viel besser als die Natur. Das liegt, wie ich finde, an den deutlicheren Farbkontrasten und dem Kontrast zwischen menschlich unklaren Formen, Gesten und Gedanken und den klaren Geometrien der Becken und Handtücher, auf denen die Leute sitzen bzw. liegen. Das beste Freibad der Welt heißt Prinzenbad und liegt in Kreuzberg. Zu den schönsten Sommererlebnissen zählt, wie zwei Mädchen, die neben der kalten Dusche im Freien stehen und wie ich ganz vorsichtig mal einen Arm und mal ein Bein unter das kalte Wasser halten. Sie freuen sich sehr, wenn ein Regenbogen entsteht, dessen Farben viel klarer voneinander abgesetzt sind als zuweilen am Himmel.

Manchmal denkt man, dass man sofort sterben würde, wenn man sich unter die kalte Dusche des Prinzenbades stellte. Komischerweise scheinen die meisten kleinen Kinder immun gegen kaltes Wasser zu sein. Das liege daran, dass sie noch nicht wissen, was Kälte ist, sagte P. Dann schien die Sonne wie immer am Nachmittag; ich war in mein Schawarma an der Ecke vertieft und aß ein Buch von Theweleit, als plötzlich jemand „Guten Tag“ sagte. Ich schaute auf. Es war mein Abgeordneter Christian Ströbele, der unterwegs war, um alle Menschen in seinem Wahlkreis zu grüßen. Ich musste gleich lachen, weil der Kandidat genau die gleichen Sachen anhatte wie auf dem Plakat, das ein paar Meter weiter hing, und begann vollends kindisch zu kichern, als ich ihn eine halbe Stunde später, ein paar hundert Meter weiter woanders sah, als wäre er mir oder ich ihm gefolgt.

Oder auch, dass jemand „Hallo du Leute ich habe Lust auf Sex“ in Kinderschrift mit blauem Filzstift auf einen Balken einer Holzspielplatzanlage geschrieben hatte, die auf dem Naturcampingplatz „Am Grubensee“ zwischen Spreewald und Märkischer Schweiz stand. Das waren die Höhepunkte meines Sommers, dessen Lieblingsheld, ein vielleicht 40-jähriger Familienvater aus der Gothic-Szene, immer in einem T-Shirt durch Kreuzberg lief, auf dem „Your God is dead“ stand.