Kassenärzte fordern Millionenprogramm

Ohne Finanzspritze werde der Medizinermangel im Osten dramatische Ausmaße annehmen, droht die Kassenärztliche Bundesvereinigung. Gesundheitsministerium winkt ab. Sächsische Regierung unterstützt Praxen – KV Thüringen mietet eine an

VON SABINE AM ORDE

Noch hat die Union die Bundestagswahl nicht gewonnen – und die Mehrwertsteuer ist auch noch nicht erhöht. Dennoch wecken die Milliarden, die die geplante Erhöhung der Verbrauchssteuer in den Bundeshaushalt spülen würde, immer neue Begehrlichkeiten. CDU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel will damit die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senken. Die Ministerpräsidenten wollen ihre Haushaltlöcher stopfen. Und jetzt haben auch noch die Ärzte Ansprüche angemeldet.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat gestern ein Sofortprogramm gefordert, um den Ärztemangel in Ostdeutschland zu stoppen. Sonst werde dieser „in den nächsten Jahren dramatische Ausmaße annehmen“, sagte KBV-Chef Andreas Köhler. 700 Millionen Euro wollen die Kassenärzte – am liebsten steuerfinanziert. Schließlich, so der KBV-Chef, sei die Hauptursache für den Notstand die „chronische Unterfinanzierung“ der niedergelassenen Mediziner in den neuen Bundesländern.

Weil aber die KBV selbst nicht wirklich daran glaubt, dass ihre Mitglieder mit den Mehrwertsteuermilliarden beglückt werden, hat sie gleich einen Plan B präsentiert: 1,5 Prozent der bundesweiten Krankenhaus-Ausgaben sollen eingespart werden und den Arztpraxen zugute kommen.

Nach den Statistiken der KBV behandelt ein niedergelassener Arzt im Osten durchschnittlich 36 Prozent mehr Patienten als sein Kollege im Westen, bekommt von der Krankenkasse aber nur 72,8 Prozent der Vergütung. Diese unterscheidet sich nach Region und Kasse. Zudem gibt es in den neuen Ländern kaum privat Versicherte, die für Ärzte besonders lukrativ sind.

All dies führe dazu, dass ältere Ärzte ihre Zulassung früher zurückgäben und sich nur wenig junge Mediziner in Ostdeutschland niederließen, sagte Regina Feldmann, Chefin der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Thüringen. In den kommenden fünf Jahren würden aufgrund der Altersstruktur zwischen 40 und 50 Prozent der Hausärzte ihre Praxis aufgeben. Ebenfalls Besorgnis erregend sei die Situation bei den Fachärzten. Schon jetzt, so Hans-Joachim Helming, Vorsitzender der KV Brandenburg, gebe es in den neuen Ländern 609 Hausarzt- und 224 Facharztstellen, für die kein Mediziner zu finden sei. Das könne durchaus dazu führen, dass ein Patient 30 Kilometer zum Hausarzt fahren müsse.

Auch die sächsische Sozialministerin Helma Orosz warnte gestern vor einem Ärztemangel in den neuen Bundesländern. „Wenn wir nichts dagegen tun, bringen wir uns in eine Situation, in der die Versorgung nicht mehr gewährleistet werden kann“, so die CDU-Politikerin. Im Landkreis Torgau-Oschatz ist die Versorgung bereits so schlecht, dass die Landesregierung Investitionszuschüsse für Praxen eingeführt hat. In der thüringischen Stadt Ohrdruf wird die KV im Oktober eine eigene Praxis eröffnen, in der ein Arzt für maximal zwei Jahre angestellt ist.

Solche Maßnahmen würden viel zu selten ergriffen, kritisierte gestern die Sprecherin von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und wies die Forderung der KBV nach einem Sofortprogramm zurück. „Die Bundesregierung hat auf das Problem reagiert und ein ganzes Bündel von Maßnahmen möglich gemacht“, sagte Schmidts Sprecherin. Jetzt sei es an KVen und Krankenkassen, diese Maßnahmen zu nutzen. Auch der Marburger Bund (MB), der Zusammenschluss der Klinikärzte, hält natürlich nichts von den Umverteilungswünschen der KBV. „Unzumutbar“ sei das.