Wenn das Geld für Hefte fehlt

Erwerbslose Eltern und Kinder geraten in Not, wenn sie das Geld für Schulmaterialien nicht angespart haben. Wohlfahrtsverband: Jedes siebte Kind in Einkommensarmut

BERLIN taz ■ Die Idee war einfach: Wer Arbeitslosengeld II bezieht, soll das Geld für einmalige Leistungen wie Reparaturen oder Schulmaterialien nicht mehr extra beim Sozialamt beantragen müssen. Stattdessen wurde diese Summe pauschaliert und dem monatlichen Regelsatz zugeschlagen. Dass es so einfach nicht geht mit der Armut, zeigt jetzt die Praxis zum Schuljahresbeginn: Vielerorts stellen Mütter auf Arbeitslosengeld II Anträge auf Sonderleistungen für Schulmaterialien – weil sie das Geld dafür einfach nicht haben.

In der Jobvermittlung ARGE Wuppertal beispielsweise gingen jetzt „eine Reihe von Anträgen für Schulbücher und -materialien“ ein, sagte ARGE-Geschäftsführer Thomas Lenz der taz. Den AntragstellerInnen wurde das Geld als Darlehen gewährt. Laut Paragraf 23 im Sozialgesetzbuch II gibt es Sonderleistungen für Arbeitslosengeld-II-Empfänger, wenn eine „unaufschiebbare Notlage“ besteht.

„Die Summe gibt es aber nur auf Darlehensbasis“, betont Lenz. Laut Gesetzgeber muss dieses Darlehen für Schulmaterialien dann von den Arbeitslosengeld-EmpfängerInnen wieder abgestottert werden. Monatlich können die Behörden Raten bis zu zehn Prozent des Regelsatzes einfordern. Wie viel aber dann tatsächlich zurückgefordert wird, „dafür gibt es einen Ermessenspielraum“, schildert Lenz.

In anderen Städten ist man rigoroser. So wurden beispielsweise auch in Berlin zum Schuljahresbeginn „verstärkt Anträge“ auf Sonderleistungen gestellt, heißt es im Jobcenter Berlin-Reinickendorf. In der Regel gebe man den Anträgen aber nicht statt, da die Ausgaben für Schulmaterialien in den monatlichen Leistungen pauschal enthalten seien. Im Regelsatz für einen Alleinstehenden von im Westen 345 Euro sind 50 Euro als Pauschale für „einmalige Ausgaben“ eingerechnet, ähnlich verhält es sich mit dem „Sozialgeld“ für die Kinder von Langzeitarbeitslosen.

Der Gesetzgeber geht davon aus, dass das Geld für Sonderausgaben aus dem Regelsatz monatlich angespart wird, doch „das ist eine Illusion“, sagt Harald Thomé, Berater im Sozialhilfeverein „Tacheles“ in Wuppertal. Wer schon von den niedrigen Regelsätzen leben müsse, könne nicht noch Geld für Sonderausgaben zurücklegen. „Der Gesetzgeber sollte darüber nachdenken, dass neben den Kosten für Klassenfahrten auch Schulbücher und -materialien in die Sonderleistungen aufgenommen und extra bezahlt werden“, fordert Lenz.

Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPW) leistete für diese Forderungen gestern Schützenhilfe. „Die Abschaffung der einmaligen Leistungen schlage „eklatant“ auf die Armutslagen durch, erklärt DPW-Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. Nach einer neuen DPW-Studie lebt in Deutschland inzwischen jedes siebte Kind auf Sozialhilfeniveau. Ende 2004 hätten 965.000 Kinder unter 15 Jahren auf Sozialhilfeniveau gelegen, heute seien es 1,5 Millionen. Dabei bezog sich Schneider vor allem auf die Statistik zum Arbeitslosengeld II. Kritiker monieren allerdings, dass die Armut nicht so sehr gestiegen, sondern vor allem „sichtbarer“ geworden sei. Denn jetzt tauchten viele Kinder von Arbeitslosengeld-II-Empfängern in der Statistik auf, die auch vorher schon in armen Haushalten etwa von erwerbslosen Eltern gelebt hätten, aber damals nicht in der Sozialhilfestatistik erschienen.BARBARA DRIBBUSCH