ARMEN KINDERN NUTZEN STEUERSENKUNGEN NICHT
: Arbeitslose brauchen Familienpolitik

Jedes dritte Kind in Schwerin oder Halle und jedes fünfte in Hamburg oder Kiel wird von der Politik im Stich gelassen. Zu diesem Ergebnis kommt, wer den neuen Familienbericht der Bundesregierung mit den aktuellen Zahlen über die Kinderarmut kombiniert. Hartz IV hat mit einem Schlag – Armut per Gesetz – die Zahl unter Armutsbedingungen lebender Kinder und Jugendlicher auf ein Rekordniveau von 1,7 Millionen ansteigen lassen.

Zwar werden im Wahlkampf neue Wohltaten für Familien proklamiert. Doch verarmte Kinder und ihre Eltern bleiben ohne Stimme. Wer arbeitslos ist oder sich mit 1-Euro- oder Minijobs über Wasser zu halten versucht, dem helfen keine Steuersenkungen. Auch vom SPD-Elterngeld profitieren nur gut Verdienende. Wer ohne Erwerbseinkommen ist, stünde durch den Wegfall des bisherigen Erziehungsgeldes sogar schlechter.

Von einem Ausbau außerhäuslicher Betreuung könnten zwar auch verarmte Kinder profitieren. Er soll aber nicht vorrangig benachteiligten Kindern helfen, sondern die Erwerbsoptionen gut ausgebildeter Mütter verbessern. Zudem hängt die Qualität der Betreuung von der Mitarbeit und dem Portemonnaie der Eltern ab: Gute Ganztagsschulen beruflich erfolgreicher und engagierter Eltern liegen in den besseren Stadtvierteln, heruntergekommene Verwahranstalten in den Armutsghettos.

Parteiübergreifend ist Familienpolitik aktuell nicht einfach auf Erwerbsarbeit fixiert. Vielmehr soll Erwerbsarbeit an die Stelle bisheriger Familienpolitik treten. Man hofft, dass die Massenarbeitslosigkeit sich durch mehr Wirtschaftswachstum und den Bevölkerungsrückgang bald verflüchtigt. Altbackene Familienstrukturen müssten daher den Anforderungen einer globalisierten Arbeitswelt angepasst werden.

Doch dies ist eine trügerische Hoffnung. Zwar mögen künftig mehr gut ausgebildete Frauen beruflich reüssieren, doch gering qualifizierte Mütter (und Väter) machen auch künftig keine Karriere. Für sie bleiben allenfalls Billigjobs ohne Perspektive. Erwerbsarbeit kann Familienpolitik nicht ersetzen. HARRY KUNZ