PETER UNFRIED über CHARTS
: Sie hören … nein, SIE hören jetzt mal zu!

Das Wahlkampf-Tagebuch (VII): Bitte keine TV-Duelle und auch sonst keinen Wahlkampf im Fernsehen mehr!

Sie diskutieren, wer wem jetzt endlich zuzuhören hat. Seit Wochen diskutieren sie das. „Sie hören, sie hören … nein, SIE hören mir jetzt mal zu, Herr Fischer.“ Herr Fischer sagt dann maliziös grinsend, dass er der Frau Merkel „gerne“ zuhören werde. Seit Wochen streiten sie darum, wer wen ausreden lässt oder nicht. Selbstverständlich lassen sie einander auch dabei nicht ausreden. Soweit es bei dem ganzen Geschrei zu verstehen ist, sind die einen überzeugt, dass die anderen sie nie ausreden lassen. Das ist im Prinzip auch der Grund für den Niedergang Deutschlands. Die anderen dagegen behaupten: Nein, ihr lasst uns nie ausreden. Aber dennoch gibt es keinen Niedergang. Jedenfalls noch nicht. Wahlkampf im Fernsehen!

Sind sie im selben Lager – oder wollen oberflächlich diesen Eindruck aufrechterhalten – dann schauen sie sich von der Seite prüfend an, ob sich in dem grade erfolgenden Statement eine kleine Bösartigkeit verbirgt bzw. entfaltet, die sich gegen den wahren und persönlichen Gegner richtet. Sind sie CSU-Ministerpräsident, so sind sie offenbar per Parteistatut gezwungen, Analogien aus dem Fußballgeschäft rauszuhauen. „Herr Fischer, Sie kommen mir vor wie ein Fußballtrainer, der sagt: Wir sind zwar Letzter, aber wir machen ein gutes Spiel.“ Darauf steigt selbstverständlich keiner ein. Nein, dann sagen die anderen, dass die Menschen ein Grundrecht auf Ehrlichkeit hätten. Darauf sagt der Herr Fischer, dass die anderen ja selbst nicht ehrlich seien. Darauf erwidert der Herr Stoiber, dass man ehrlicher nicht sein könne als er. Und die sehr verehrte Frau Merkel erklärt noch mal, wie schlimm es um Deutschland steht, bis einem Angst und Bange wird, und man fast froh ist, wenn Herr Fischer die schlimme Situation wieder ein bisschen relativiert. Bzw. das versucht, während von der anderen Seite der Herr Stoiber kräht, dass das Schlimme ein „Faktum“ sei. Das ist sein Lieblingswort. Gleich nach Bayern und Champions League. Faktum. Faktum. Ob nun „Steuer-Paul“ Kirchhofs Vorstellungen gerechter oder ungerechter sind als das, was ist – darüber kann eine Fernseh-Diskussion mit Spitzenpolitikern den Menschen – also uns – genauso viel Aufschluss geben wie über die Frage, wer wen hier verdammt noch mal nie ausreden lässt. Selbstverständlich keinen.

Da hilft es auch nicht, wenn ein Herr Westerwelle einen Zettel rauszieht, den er mit großer Geste als „Agenturmeldung“ ankündigt und mit deren Hilfe er enthüllt, dass es doch einen wirtschaftsliberalen Grünen-Politiker gibt. So was kann immerhin der Unterhaltung dienen. Hat es ja teilweise auch getan. Inzwischen ist das Format in jeglicher Hinsicht ausgereizt. Das gilt sogar für die Jörges-Show.

Regelmäßige Seher sind in eine der üblichen Wiederholungsschleifen des Mediums geraten: Hier die Menschen, die Ehrlichkeit, die Vorfahrt, das ganze Elend von Rot-Grün. Dort Schröders joviales ‚Wird schon, wenn auch nicht mit mir und keine Ahnung wie‘. Und Fischers Eigenart, seine guten Sprüche rauszuhauen, bis sie einem zu den Ohren rauskommen, zeigt zwar seine Solidarität mit dem Parteiprinzip der Nachhaltigkeit und dem Wissen um die Endlichkeit der Ressourcen – lustiger werden sie dadurch auch nicht.

Ich will hier aber nicht nur hadern mit der Oberflächlichkeit des Mediums oder des politischen Diskurses. Sondern mit mir. Klar geht es auch um Beeinflussung des Medienbetriebs und der Info-Elite. Aber das Niveau gibt auch Aufschluss darüber, wie die Spitzenpolitiker jene Wähler geistig verorten, von denen sie glauben, dass sie die Wahl entscheiden. Oder warum ist das Ganze sonst angelegt wie ein Nachmittagsprogramm („Du bist blöd.“ – „Nein, du!“) für Info-Deklassierte und andere für doof Gehaltene?

Der Doofste von allen war ich, denn ich habe mir sogar stundenlang angesehen, wie etatmäßige Printjournalisten im Fernsehen – selbstverständlich ohne Ergebnis – diskutieren, wer beim Diskutieren im Fernsehen über die Frage, wer wem besser zugehört hat, denn nun tatsächlich besser zugehört hat. Aber jetzt ist Schluss. Ich wechsle rüber zu Zweite Liga im DSF.

Fragen zum Zuhören? kolumne@taz.de Morgen: Arno Frank über FLORA UND FAUNA