Rudi-Dutschke-Straße
: Versöhnung der Generationen

An die Fraktionen der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg. Sehr geehrte Damen und Herren. Die Diskussion um eine Rudi-Dutschke-Straße wird nun fast ein dreiviertel Jahr geführt, öffentlich und in Ihrem Parlament. Es ist eine fruchtbare Diskussion, bei der viel Wichtiges in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zurückkehrte. Dieses Nachdenken über Dutschke zeigt, dass der Vorwurf nicht zutrifft, die taz betreibe eine Medienkampagne. Der Diskurs beweist, dass Dutschkes Modell des Aktivismus als Lebensform nichts Gestriges ist, sondern bis heute wirkt.

OFFENER BRIEFVON PETER UNFRIED

Parlament und Öffentlichkeit haben im Laufe der Monate vieles erfahren. Wir wissen, dass die Anwohner der Umbenennung aufgeschlossen gegenüberstehen; dass deren Kosten überschaubar sind; dass Straßennamen nicht nur Sache der Anwohner sind, sondern der gesamten Gesellschaft. Ein Straßenname ist die Chance, eine Haltung auszudrücken, eine Aussage in den Alltag hineinzupflanzen.

Rudi Dutschke steht pars pro toto für den gesellschaftlichen Aufbruch von 1968. Er steht auch für eine der schwärzesten Stunden der Nachkriegsgeschichte: Das Attentat auf ihn am 11. April 1968 durch einen nach eigener Aussage von der Bild-Zeitung aufgehetzten Arbeiter. An der Kreuzung von Springer-Straße und Dutschke-Straße, so der Historiker Jürgen Karwelat, kann Vergangenheit lebendig werden. Hier können Schulklassen Nachkriegsgeschichte erLEBEN. Es geht nicht um Revanche, im Gegenteil. Die Dutschke-Straße ist der Vollzug einer historischen Versöhnung der Generationen und politischen Lager.

Dutschke war ein Mann, der über Alternativen nachgedacht hat, über ein besseres Leben. Wir brauchen solche Menschen. Auch deshalb sollten wir uns an ihn erinnern. Sie, die Damen und Herren des Bezirksausschusses, haben das Projekt Rudi-Dutschke-Straße mehrheitlich befürwortend bis zur Abschlussreife vorangetrieben. Bitte lassen Sie nicht zu, dass es am Schluss an einer Formalität scheitert.

Peter Unfried ist stellvertretender Chefredakteur der taz