„Wärmebehandlung“ gegen das Virus

Die für Menschen gefährliche Vogelgrippe hat Sibirien längst erreicht – aber die Vorsorgemaßnahmen laufen in Russland nur langsam an. 113.000 Stück Federvieh wurden zwar schon getötet. Doch ansonsten verharmlost die Regierung die Gefahr

AUS MOSKAUKLAUS-HELGE DONATH

Gennadi Onischtschenko gab sich todesmutig. „Ich bin bereit, einen Akt der Selbstvernichtung vorzunehmen“, lachte Russlands oberster Sanitärarzt in die Kameras. „Bringt mir ein infiziertes Huhn, lasst es kochen und ich verzehre es vor euren Augen.“ Ein mit dem H5N1-Vogelgrippenvirus infiziertes Huhn wurde vom Boulevardblatt „Moskowski Komsomolez“ flugs gefunden. Seit Donnerstag ist Gennadi Onischtschenko auf der Flucht.

Gefahren und Risiken werden in Russland meist zunächst verharmlost und erst eingestanden, wenn die Gefahr bedrohlich näher rückt. So war es auch bei der Vogelgrippe. Ende Juli gaben die russischen Behörden endlich bekannt, dass es sich bei der in Sibirien aufgetauchten Vogelgrippe um den aggressiven Typus H5N1 handelt, an dem in Südostasien bereits über 50 Menschen gestorben sind.

113.000 Stück Federvieh sind seither in Sibirien von Sanitärtrupps vernichtet worden. „Satschistka“, Säuberung, nennen die Tierhalter die unangekündigten Besuche der Gesundheitsbehörden. Bislang war dieser Begriff der Armee in tschetschenischen Dörfern vorbehalten.

Den sibirischen Bauern gehen die prophylaktischen Maßnahmen an die Substanz. Fast jeder Haushalt in einem russischen Dorf hält Hühner, Gänse oder Enten. Die ärmeren Schichten, über die Hälfte der Bevölkerung, decken den Eiweißbedarf weitgehend mit dem erschwinglicheren Federvieh. Für viele Familien sind Hühner und Gänse die einzige Einnahmequelle. Daher stellen sich die Kleinbauern den Sanitärtrupps in den Weg oder verstecken die Tiere.

Zudem beginnt nun die Saison der Jagd auf Wildvögel – und damit steigt das Risiko, dass noch mehr kranke Wildvögel mit dem häuslichen Federvieh in Berührung kommen. Auf dem Lande trinken beide Tierarten oft aus demselben Teich, der manchmal auch Bewohnern noch als Wasserreservoir dient.

Das Landwirtschaftsministerium hat sich bisher nicht dazu durchringen können, ein Jagdverbot zu verhängen. Man fürchtet den Groll der Jäger. Und daran, die Waffen freiwillig niederzulegen, denkt auch Sonntagsjäger Igor Poljakow nicht: „Die Beamten haben selbst gesagt, dass bei entsprechender Wärmebehandlung das Virus unschädlich gemacht wird.“ Den versprochenen Selbstversuch sind sie den Jägern aber noch schuldig geblieben.