TEXTILSTREIT MIT EUROPA: CHINA SOLLTE IM EIGENEN INTERESSE EINLENKEN
: Widersprüche des Kapitalismus aushalten

Man stelle sich 80.000 europäische Autos vor, die China nicht durch den Schanghaier Hafen lassen will – man würde die Pekinger Kommunisten sofort wieder Kommunisten nennen. Kein Wunder, wenn Chinas Staatspresse die Europäer heute Protektionisten schimpft. Die 80 Millionen Hosen und Hemden „made in China“, die sich in Europas Häfen stauen, drohen den chinesischen Glauben an den Freihandel zu zerstören. So weit aber darf es Peking nicht kommen lassen. Der Erfolg der kommunistischen Öffnungspolitik beruht darauf, dass viele Chinesen einer vom Westen rational geführten Weltwirtschaftordnung beitreten wollen. Benutzt die KP in Peking die im Textilstreit offenbar werdenden Widersprüche des Westens, um daraus politisches Kapital zu schlagen, untergräbt sie den Glauben der Chinesen an ihre Zukunft im Kapitalismus, ohne den in China aber nichts mehr geht.

Zudem muss Peking höllisch aufpassen, dass dem eigenen Land nicht die Rolle des handelspolitischen Sündenbocks zufällt. Von der Linkspartei in Deutschland bis zur Mehrheit im Washingtoner Repräsentantenhaus, die kürzlich gegen chinesische Firmenaufkäufe in den USA protestierte, tauchen im Westen neue Lobbys auf, die sich, um Arbeitsplätze in den alten Industrieländern zu erhalten, dem mächtigen Handelsstrom aus China entgegenstellen. Doch ist der Strom mächtig genug, diese Protektionisten wegzufegen? Keiner weiß das. Deshalb gebührt China heute handelspolitische Bescheidenheit. Besser kein Aufhebens um 80 Millionen Kleidchen machen, als die Wut der Europäer auf ihre unheimliche Abhängigkeit von der Warenflut Chinas auf die Probe zu stellen.

Doch Peking ist längst nicht mehr frei von Arroganz. Der jüngst fehlgeschlagene Übernahmeversuch einer amerikanischen Ölfirma war das Werk eines größenwahnsinnigen Konzernvorstands. Die Textilschwemme in Europa ist das Werk profitgieriger chinesischer Schneider, die ihre Konkurrenz in Europa nicht mehr ernst nehmen. So aber kommt China nicht weiter, selbst wenn es Recht hat. Es muss mit den Widersprüchen im Kapitalismus erst noch umgehen lernen. GEORG BLUME