Subversion im Hier und Jetzt

Ohne Punk hätte die Postmoderne nur kluge Worte geboten: Mit der Ausstellung „ostPUNK! – too much future“ wird die Punkszene der DDR und ihr Weg durch staatliche Repressionen und die Sublimierung im Kunstkontext angemessen gewürdigt

VON CLAUS LÖSER

Zur Vernissage staute sich eine illustre Menge im Hinterhof der Saarbrücker Straße: viele Menschen Ende Dreißig bis Mitte Vierzig, oft in Lederjacken, mit Ramones-T-Shirts, Clash-Buttons oder eher versteckten Verweisen auf eine irgendwie gemeinsam artikulierbare Vergangenheit. Dazwischen Hunde, umhertobende Kinder, neugierige Teenager sowie Politiker von PDS bis CDU, die auf dem mit zunehmender Dauer des Abends immer dichter werdenden Teppich aus Scherben und Kippen Haltung zu bewahren suchten.

Es dauerte, sich den Weg bis zum Eingang zu bahnen, da buchstäblich alle fünf Schritte ein ganz alter Freund oder eine lang vermisste Bekannte mit zwei, drei Sätzen begrüßt werden mussten. War die eigentliche Ausstellung „ostPunk“ erreicht, verdichtete sich das Gedränge. Vor großformatigen Fotos glaubten Besucher sich gegenseitig oder andere, Abwesende zu erkennen. Ein Aufschrei: „Hier bin ich!“ Und dann etwas kleinlaut: „Nee, doch nicht.“ Der Spekulation war Tür und Tor geöffnet, da die Bilder zur Eröffnung noch keine Unterschriften trugen.

Heimwerker überall

Im nächsten Kabinett drückende Bässe, knarzende Gitarren, ein mit hechelnder Stimme gesungener, gänzlich unverständlicher Text: Das alles tönte vom Low-Fi-ORWO-Tape aus versteckten Lautsprechern. In einer Vitrine war ein Arrangement von Artefakten zu sehen: zerfetzte Hosen und Jacken, Kassettenhüllen, Accessoires aus Rasierklingen und Sicherheitsnadeln. Alles selbst gemacht – die DDR war eben eine Gesellschaft von Heimwerkern, auch in ihren äußersten Randbezirken.

Auf einen ersten Blick produziert die Ausstellung „ostPUNK!“ Erinnerung; zumindest für die Besucher, die mit ihrem Erleben an das (Wieder-) Gesehene, und sei es entfernt, anzuknüpfen vermögen. Wer jedoch die drei Etagen vollständig durchquert hat und auf die Gegenwartsebene zurückgekehrt ist, weiß wieder einmal, dass jeder Nostalgie vehement zu misstrauen ist.

In keiner Weise aufdringlich, führt die Exposition die Metamorphosen des DDR-Punk vor Augen: von seinen ebenso wilden wie naiven Aufbrüchen über die ungewöhnlich harten Repressionen durch den Sicherheitsapparat bis hin zu seiner Sublimierung durch den Kunstkontext und die Absorption mittels Ausreise und deutscher Einigung. Zahlreiche Dokumente, Filmausschnitte, Fotos, Zeichnungen und Gemälde bezeugen diese Entwicklung.

Mitte der Achtzigerjahre veränderten sich Struktur und Selbstverständnis der DDR-Punkszene. Einerseits suchten ihre Exponenten Anschluss an die Kunstszene, andererseits spürten Künstler im Umkehrschluss den Kontakt zu den jüngeren Kollegen. Ergebnis war eine Reihe von einmaligen Interferenzen, von denen hier nur Arbeiten flanzendörfers (1962–1988), die Gemälde der IG Mauerstein oder die Musik der Art-Punk-Band Zwitschermaschine genannt sein sollen.

Bands der ersten Stunde hatten sich noch Planlos, Unerwünscht oder Namenlos genannt und führten damit ihre Verweigerung gegenüber allgegenwärtiger Zukunftsverplanung demonstrativ im Titel. Eine Zeit lang suchten die Funktionäre angesichts des Phänomens selbst nach Orientierung, beschlossen dann „Durchgreifen“. Im August 1983 hält ein Maßnahmenplan der Stasi fest: „Der Minister [Erich Mielke] hat ‚Härte‘ gegen ‚Punk‘ befohlen, um Eskalation dieser Bewegung zu unterbinden (…) bei festgestellter Renitenz Samthandschuhe ausziehen – wir haben keinen Anlass, mit diesen Figuren zart umzugehen.“

Was dies für die Betroffenen bedeutete, ist in der obersten Etage der Ausstellung eindringlich belegt: Observation, Zuführung, Prügel, Haft, Zwangsdienst, Abschiebung. Ach, was war das für eine „kommode Diktatur“ (Grass), die unbekümmert Urteile der NS-Terminologie wie „Zersetzung“, „Entartung“ und „Liquidierung“ in ihre Unterlagen schrieb.

Ohne Verbitterung

Wichtig ist, dass als Hauptkuratoren von „ostPUNK!“ mit Michael „Pankow“ Boehlke und Henryk Gericke zwei authentische Vertreter der ersten ostdeutschen Punk-Generation agieren. (Womöglich hätten sich sonst schon bald Totalitarismusforscher aus Wanne-Eickel des brach liegenden Themas angenommen.) Boehlke war Sänger bei Planlos, Gericke stand bei The Leistungsgleichen am Mikrofon. Sie reflektieren ihr ureigenes Thema ohne Verbitterung oder Pathos. Ihnen zur Seite standen beratend Dirk Teschner, der in der Offenen Arbeit der Evangelischen Kirche viele Veranstaltungen mit Punks begleitet hat, sowie der Kulturwissenschaftler Heinz Havemeister, mit Ronald Galenza Herausgeber eines Grundlagenwerks über die musikalische Subkultur in der DDR („Wir wollen immer artig sein “).

Es bedarf keiner Kongresse und Symposien, um die vom Punk ausgehenden Eruptionen als wichtigste künstlerische Impulsgeber für das ausgehende 20. Jahrhundert zu identifizieren. Ohne die gegen alles und jeden gerichtete Attitüde und Praxis des Punk wäre die Postmoderne nur viel Papier mit noch mehr klugen Worten geblieben. Wenn Greil Marcus, Nik Cohen zitierend, den Rock ’n’ Roll als die Musikform bezeichnet, die „den Moment erschafft und ihn dadurch transzendiert“, so trifft dies auf den Punk in noch höherem Maße zu.

Im deutschen Osten erfuhr die Hier-und-Jetzt-Proklamation von „No future“ angesichts eines chronisch hüstelnden Staatsoptimismus noch wesentliche subversive Verstärkung. Wenn die Ausstellungsmacher den berühmten Slogan nun in „Too much future“ umformulieren, so treffen sie damit durchaus den Kern der Sache.

Ausstellung „ostPUNK! – too much future. Punk in der DDR 1979–89“, Saarbrücker Straße 20–21 (U-Bahnhof Senefelder Platz), geöffnet Mi.–So. 15–20 Uhr, Do. 15–22 Uhr, Eintritt frei, Rahmenprogramm siehe www.ostpunk.de, zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen (10 €)