Alles bleibt im Ungefähren

Jugend eben: In seinem Dokumentarfilm „Schräge Zeit“, der im Kino Brotfabrik gerade recht als Begleitung der Ausstellung „ostPUNK“ läuft, kommt der Regisseur Olafur Sveinsson nicht wirklich über bekannte Klischees hinaus

Es ist seltsam, sich Olafur Sveinssons Dokumentarfilm „Schräge Zeit“ anzugucken. Das, wovon er größtenteils erzählt – Punkmusik im Ostberlin der 80er-Jahre –, wirkt auf merkwürdige Art ganz weit entfernt. Einerseits kennt man viele ähnliche Bilder – Punkkonzerte im Osten in Schwarz und Weiß, Altbauwohnungen, in denen die eingeengte Beatgeneration der Hauptstadt der DDR zu feiern pflegte, ohne allzu sehr von staatlichen Repressionen betroffen zu sein, solange der Arbeiter-und-Bauern-Staat nicht eindeutig beschimpft wurde, und Bilder und Geschichten vom Mauerfall; andererseits hat diese Vergangenheit etwas Unwirkliches.

Die DDR gibt es ja längst nicht mehr, Häuser und Straßen Ostberlins sehen längst anders aus. Außerhalb ihres gesellschaftlichen Zusammenhangs wirkt die Musik – nun ja – historisch, und nur ein Bruchteil derer, die vor 89 zwischen Mitte und Prenzlauer Berg lebten, wohnen da immer noch. Die Zeit, in der die widersprüchlichen Geschichten der Ostberliner Subkultur in den Medien erzählt wurden, ist auch schon mehr als zehn Jahre her. Weil es so lange her und der Regisseur bemüht ist, ein großes Publikum anzusprechen, wirkt vieles etwas zu eindeutig oder pauschal.

Vor allem in Interviews lässt Olafur Sveinsson von der Punkband „Der demokratische Konsum“ erzählen, die von 83 bis 86 laut, dilettantisch und dadaistisch in Kostümen aus der Requisitenkammer des Maxim Gorki-Theaters aufzutreten pflegte. „Binnen Sekunden hatte die DDR ihre erste Supergroup, die wahrhaftig den Verdacht nahe legte, in der Zone sei der Sonnenstich endemisch geworden“, schrieb der Ausstellungsmacher Christoph Tannert, zwischen 81 und 84 Sekretär der ZAG Junge Künstler beim Zentralvorstand des VBK-DDR, über ihren ersten Auftritt. Wegen ihrer Vorliebe fürs Soldatische verglich er sie mit DAF, die etwa zur gleichen Zeit im Westen ihren Mussolini tanzten.

Die historischen Aufnahmen im Film wirken schwammig und vermitteln kaum die Musik der Bands. Alles scheint super; junge Leute aus besseren Elternhäusern eben, die laut Musik machen an abgerockten Orten. Man hat viel Spaß und verdient reichlich Geld durch illegale Geschäfte mit alten Reklameschildern etwa, die man in den Westen schmuggeln lässt. Man versucht gegenüber der Staatsmacht gleichgültig zu sein, hat dennoch Angst vor Repressalien und geht dann allmählich mit Hilfe von Scheinehen in den Westen, über Island lustigerweise. Die Zurückgebliebenen machen noch Kunst und Musik, während Jan Sputnik, der Sänger, im Westteil ein BWL-Studium beginnt und versucht, so oder anders, viel Geld zu verdienen.

Interessanter eigentlich als die einstündige Schilderung der Verhältnisse in den 80er-Jahren nebst ellenlangen Mauerfallpassagen erscheint die Zeit der Individuation und Vereinsamung danach, des Verrücktwerdens des Sängers Jan Sputnik etwa, der eine Weile in seltsamen Kostümen in der Technoszene herumhüpft und dann als Manisch-Depressiver mit bizarren Wahnvorstellungen in der Klapse landet. Irgendwie fällt es schwer, die wohlbeleibten Endvierziger, die da erzählen, mit den wilden Ost-Punks aus den 80ern in Verbindung zu bringen. Und irgendwie, weil der Film zu kurz ist und weil der Zeitraum, in dem der Film spielt, zu lang ist, weil die Geschichten so zahlreich sind, weil es viel zu wenig Archivmaterial gibt, endet alles im Ungefähren und gänzlich Unspezifischem. „Wir waren jung, wir waren besoffen. Wir wollten den Mädchen auffallen“, sagt einer der Musiker von früher, und dass das damals die beste Zeit gewesen wäre. Nun ja.

DETLEF KUHLBRODT

„Schräge Zeit“ läuft im Kino Brotfabrik, 1.–7. 9., außer So., 20 Uhr