Kulanz und Ekstase

Johannes Brunners Debütfilm „Oktoberfest“ spielt auf der Wiesn: Die Schauspieler wirken wie Fremdkörper und die Statisten dominieren

Die grölenden Fans der bayerischen Gemütlichkeit dominieren den Film. Ethnisch sind sie monströs faszinierend

VON DIETRICH KUHLBRODT

Wenn der Film ein spielfilmlanger Trailer für eine Serie wäre, dann wäre endlich nicht mehr nur Berlin eine Location für schöne Menschen, junge Liebe und lösbare Beziehungsprobleme. Nach den Gesetzen der TV-Dramaturgie verflechten sich in „Oktoberfest“ Handlungsstränge, brechen ab, werden wieder zusammengetackert und entwirrt. Immer und immer wieder werden in ausgereiften Ansichten Totalen vom Münchner Volksfest platziert und Fahrgeräte voll innovativer, aber auch nostalgisch-bodenständiger Art vorgestellt. Werbewirksam ist auch die Wandlung japanischer Touristen. Sie stehen für die internationale Attraktivität des Oktoberfests („Let’s go to Oktoberfest“). Skeptisch anfangs der eine, zu kindisch sind ihm die Saufrituale. Aber dann prostet auch er der Gemütlichkeit zu. Doch fehlt es ihm fürs Biertrinken an Übung.

Gefördert ist „Oktoberfest“ von Bayern (FFF), dem Bund (FFA) und dem Bundeskulturministerium (BKM), koproduziert von Bayerischem Rundfunk und Arte. Das lässt aufmerken. Und in der Tat ist der Film ästhetisch aufgewertet. Das Fest der Bayernmetropole ist eine feine Sache, öffentlich-rechtliche Oberschicht. Edel verhält sich die Festpolizei. Hat sie endlich den gehtüchtigen Täter gefasst, der im gestohlenen Rollstuhl rumfährt und einen Selbstmordanschlag vortäuscht, dann wird er auch schon mit der Auflage entlassen: „Bringen Sie den Rollstuhl dorthin, wo Sie ihn gestohlen haben. Verschwinden Sie!“ So kulant geht es in München zu, und die Drehbuchsätze sagen es wie überall im Film laut und deutlich aus.ge.spro.chen. Autor und Regisseur Johannes Brunner liefert mit „Oktoberfest“ sein Spielfilmdebüt ab. Als Münchner ist er ein gestandener Mann, studierter Bildhauer an der Akademie der Bildenden Künste, Professor der Kunstakademie, Lehrbeauftragter der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF). Alles München.

Zugegeben: Die Verlegung der Spielhandlung in die live reality des Oktoberfests nötigt die Schauspieler (Peter Lohmeyer, Barbara Rudnik) dazu, das Umtata des Festzelts zu überschreien; zugegeben auch, dass der eine oder andere Blick in die Kamera unvermeidbar ist, so bleibt doch ein Unbehagen. Und zwar an den gut bekannten Schauspielern. Sie sind in diesem Genremix Fremdkörper, und die grölenden Fans der bayerischen Gemütlichkeit dominieren dokumentarisch. Ethnisch sind sie monströs faszinierend, diese Ballermanns auf der Wiesn. Was freilich einwandfrei eine unbayerische Sicht ist. Auf den Tischen dralle Maiden. Der Bauch quillt aus den Jeans. Ekstase pur. Das muss man gesehen haben.

Die Kamera hat es gesehen. Thomas Riedelsheimer ist Chefkulturdokumentator fürs Fernsehen. Mit Preisen ist er überhäuft, und „Rivers and Tides“ (2000) ist mein spezieller Favorit. Welch ein Glück für die Maßleerer; sie kommen gänzlich unsatirisch ins Bild als ethnische Besonderheit und expandierendes Brauchtum. Das „Oktoberfest“ wird darüber hinaus von einem etwas aufdringlichen Schnitt aufgemotzt (Horst Reiter). Das ist allererster Güte. Zwar einwandfrei inkompatibel mit der seriellen Handlung, auch mit dem ehrlichen dokumentarischen Blick, aber doch fernsehgerecht. Altavangardistische Schnittcluster suggerieren Spannung, wie wir sie aber auch von den innovativen Clips gewohnt sind, für die Reiter verantwortlich ist (Telekom, BMW, Langnese, McDonald’s). Von tieferer Bedeutung ist auch, den Ton zu einem menschenleeren Festzelt mit einem gefüllten anzulegen, falls das nicht ein Gag war.

Ich will ja gar nichts Böses sagen, auch bitte ich um Verzeihung, dass ich die diversen Handlungsstränge nicht referieren mag. Es ist ja alles da, Fiktives, Dokumentarisches, Unterhaltsames, Bayerisches, Japanisches, doch es kommt nicht so recht zusammen. Verzweifelt versucht der Regisseur zu einem Ende zu kommen. Es gelingt ihm nicht. Bestimmt hat er geschwitzt, es hinzukriegen, noch die kleinste Nebenhandlung gewissenhaft abzuschließen. Ergebnis ist, dass der Film ein Dutzend Enden hat, also kein einziges. Der Zuschauer, dem was offen bleiben kann, wird gut dran tun, den Kinobesuch vorzeitig zu beenden.

„Oktoberfest“, Regie: Johannes Brunner. Mit Barbara Rudnik, Peter Lohmeyer u. a. Deutschland 2004, 120 Min.