kulturkonservatismus, michael schindhelm etc.
: Zwischenbetrachtung im Prozess der Aufklärung der Kulturnationen-Frage

Der Begriff Kulturnation sieht die Kultur als letzte Burg gegen das vermeintlich von überall anbrandende Triviale

Wer sich für die schillernde Karriere interessiert, die der Begriff der Kulturnation zuletzt hingelegt hat (siehe taz vom 11. 6. und 24. 8.), tat gut daran, Dienstag in die Berliner Räume der Heinrich-Böll-Stiftung zu gehen. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion gab dort Michael Schindhelm, Direktor der Berliner Opernstiftung und zusammen mit Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse derjenige, der diesen Begriff zuletzt am lautstärksten verwendete, Auskunft über seine Motivation dazu.

War ja klar, dass Schindhelm viel Mühe darauf verwendete, nun keinesfalls als Kulturkonservativer dazustehen. Im Kern zog er sich auf das Plädoyer zurück, die Deutschen mögen ihr Heimatland genauso selbstbewusst bewohnen wie andere europäische Nationen das ihre. Warum man dazu ausgerechnet das Wort Kulturnation reaktivieren muss, braucht einem immer noch nicht einzuleuchten. Aber: geschenkt! Bei Schindhelm politischen Revanchismus zu wittern geht am Punkt vorbei. Irritierend allerdings, wie souverän er den Einwand von Ralf Fücks, der auch mitdiskutierte, ignorieren zu können meinte. Fücks wies darauf hin, dass allein ein politischer Nationenbegriff heute noch angebracht sei; Deutsche seien wir, weil wir Bürger des deutschen Staates seien, nicht weil wir die deutsche Kultur teilten. Eine allzu berechtigte Anmerkung, auf die Schindhelm gar nicht einging, vielmehr machte er im Verlauf der Diskussion eine Ausweichbewegung. Statt sich über den Begriff Kulturnation zu streiten, wolle er sowieso viel lieber über den Zustand unserer Kultur diskutieren, meinte er. Was dann folgte, waren nun allerdings tatsächlich Standardargumente aus dem Arsenal des Kulturkonservatismus.

Zur Beschreibung der allgemeinen Lage verwendete er den Begriff der „Vulgarisierung“. Schindhelm sprach von einer grassierenden „Entkulturalisierung unserer Gesellschaft“, gegen die man kulturelle Bindungen zur „Stärkung des Immunsystems“ wieder in Stellung bringen müsse. Damit war Ralf Fücks der Wind aus den Segeln genommen; er hatte zuvor von einer „Verluderung“ der Kultur durch das Privatfernsehen gesprochen und fand sich plötzlich auf derselben Seite wie Michael Schindhelm wieder. Heinz Rudolf Kunze als weiteres Podiumsmitglied sekundierte, indem er die heutigen Schüler als „Bildungs-Zombies“ bezeichnet. Nur Adrienne Goehler hielt mit Vehemenz dagegen und wollte nicht in das Horn stoßen, die Kultur sei der einzige Hort von Sinn und Identität in einer trivialisierten gesellschaftlichen Umgebung.

Nun aber: Was soll kulturkonservativ sein, wenn nicht diese emphatische Wehklage über den Zustand der Kultur? Schon interessant jedenfalls, wie leicht man sich darauf verständigen kann, dass wir in Zeiten des kulturellen Verfalls leben. Mag sein, dass man den Begriff Kulturnation ganz anders kritisieren muss als gedacht: Wirklich fragwürdig ist gar nicht der Bestandteil nation, den er enthält. Sondern es ist der Sinn, den die beiden Silben Kultur in ihm annehmen. Es ist ein hochkultureller Begriff, der von einem close the gap nichts mehr wissen will. Statt von einer Aufhebung der Trennung von hoher und niederer Kultur träumt dieser Kulturbegriff davon, die Kunst als letzte Burg zu verteidigen gegen das vermeintlich anbrandende Vulgäre.

DIRK KNIPPHALS