Bürgerentscheid macht Bethanien billiger

Nach der Anmeldung eines Bürgerentscheids zur Rettung des Künstlerhauses pausieren die Verhandlungen um dessen Verkauf. Die Instandsetzung kostet plötzlich statt 30 nur noch 3 Millionen Euro, sagt der Bezirk

Verkauft der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ohne Not das Hauptgebäude des Bethanien an einen Investor? Das vermutet die „Initiative Zukunft Bethanien“, nachdem sie die Unterlagen des Bezirks zu dem ehemaligen Krankenhauskomplex am Kreuzberger Mariannenplatz ausgewertet hat. Offizielle Begründung für den geplanten Verkauf ist der hohe Instandsetzungsbedarf und ein angebliches jährliches Minus von rund 600.000 Euro beim Betrieb des Gebäudes. Nach Ansicht der Initiative liegen zumindest die Kosten für die Renovierung sehr viel niedriger.

Im Dezember 2002 hatte das Bezirksamt beschlossen, das Gebäude zu verkaufen, möglichst bis zu Beginn kommenden Jahres. Um dies zu verhindern, setzt die Initiative auf einen Bürgerentscheid, der erst durch ein im Juli vom Abgeordnetenhaus verabschiedetes Gesetz möglich wurde (die taz berichtete). Inzwischen ist das Bürgerbegehren offiziell angemeldet und auch die vorgeschriebene Rechtsberatung absolviert.

Und schon zeigen sich erste kleine Erfolge: Der für den Betrieb und den Verkauf des Bethanien zuständige Wirtschaftsstadtrat Lorenz Postler (SPD) bestätigte der taz, dass für die Dauer des Bürgerbegehrens alle Verhandlungen mit dem potenziellen Investor – der M & R Arend GmbH – pausieren. Einige MitstreiterInnen der Initiative befürchten allerdings, dass der Bezirk das Gebäude zum Jahresende in den Liegenschaftsfonds des Landes abschieben und sich so aus der Verantwortung stehlen will.

Derzeit sitzt Initiativenmitglied Claudia Kessel kopfschüttelnd über den Unterlagen des Bezirksamts. Diese belegen: Jahrelang wurde von senats- und bezirkseigenen Projekten keine Miete bezahlt. Da aber Senatszuschüsse, die dieses Defizit hätten ausgleichen können, ausblieben, sei ein großer Teil der notwendigen Instandhaltung unterblieben. Jetzt fehlt das Geld, und der Bezirk „muss“ verkaufen.

Auch andere Zahlen sehen nicht gerade professionell aus. „Warum werden sämtliche Strom- und Personalkosten zu den Betriebskosten gezählt?“, wundert sich Kessel – nicht nur die Treppenhausbeleuchtung, sondern der gesamte Stromverbrauch im Haus. Die Löhne für Hausmeister, Wachschutz und Pförtner machen etwa die Hälfte der Betriebskosten aus. Nach Kessels Ansicht gehören aber einige dieser Tätigkeiten in den normalen Bezirkshaushalt. Seit Jahren jammerten die BezirkspolitikerInnen über die „viel zu hohen Heizkosten“ im Bethanien, die wegen der sechs Meter hohen Decken auf den ersten Blick einleuchtend seien. Doch laut der Abrechnung betragen sie 62 Cent pro Quadratmeter: Das ist zwar teuer, bewegt sich aber laut neuestem Mietspiegel noch im Mittelbereich. Dort liegt die Obergrenze bei 81 Cent pro Quadratmeter. „Wird hier nicht bewusst mit falschen Tatsachen gearbeitet, um das Gebäude für eine Privatisierung sturmreif zu schießen?“ fragt sich Claudia Kessel.

Mit den Zahlen konfrontiert, zeigte sich Wirtschaftsstadtrat Postler erstaunt. Da er sich „noch nicht so genau mit der Materie beschäftigt“ habe, verwies er auf eine Mitarbeiterin. Diese bestätigt, dass die Gesamtkosten für Strom und Heizung einfach nach Quadratmetern umgelegt werden – „sonst müssten wir alles neu verkabeln“.

Inzwischen rudert Postler an anderer Stelle zurück: Wohl um kapitalschwache Bewerber abzuschrecken, ist in den Ausschreibungsunterlagen noch von einem Modernisierungsbedarf von bis zu 30 Millionen Euro die Rede. Jetzt reichen auch 3 Millionen Euro, sagt Postler. Doch die Konsequenzen will er nicht ziehen. Gesetzt den Fall, das Bezirksamt überträgt das Gebäude an eine bezirkseigene Stiftung, würde diese Summe gerade eine Monatsmiete von 1 Euro pro Quadratmeter bedeuten. Die zuzüglich Betriebskosten wäre für viele nichtkommerzielle Projekte und Initiativen durchaus bezahlbar. Mit so einem Angebot kurbelt man eine „öffentliche Wunschproduktion“ an, sagt Wolfgang Lenk.

Unterdessen laufen die Vorbereitungen für den Bürgerentscheid auf Hochtouren: Noch sucht die Initiative nach der richtigen mit Ja oder Nein zu beantwortenden Frage. Ist diese gefunden, hat der Bezirk einen Monat Zeit, die rechtliche Zulässigkeit des Bürgerbegehrens zu prüfen. „Vielleicht können wir schon bald nach der Bundestagswahl mit der Unterschriftensammlung beginnen“, hofft Wolfgang Lenk. Innerhalb von sechs Monaten müssen dann etwa 6.000 Unterschriften gesammelt werden. „Allerdings dürfen offiziell nur EU-BürgerInnen unterschreiben“, bedauert Ini-Mitglied Stephanie Tkorz, „damit ist quasi die Hälfte der AnwohnerInnen von der Entscheidungsfindung ausgeschlossen“.

Sind genügend gültige Unterschriften zusammen, kann sich das Bezirksamt einfach dem Anliegen anschließen – schon wäre der Entscheid gewonnen! Die andere Möglichkeit: Innerhalb der nächsten vier Monate kommt es an einem Sonntag zu einer Volksabstimmung. Die Mindestbeteiligung daran beträgt 15 Prozent der Wahlberechtigten.

Spätestens bis dahin wird auch ein Konzept für ein „Bethanien der Künste, der Soziokultur und des sozialen Lebens“ vorliegen, sagt Wolfgang Lenk. Mit Platz sowohl für die Ateliers für internationale KünstlerInnen wie auch die ehemaligen BewohnerInnen des Hausprojekts Yorckstraße 59, die einen Seitenflügel des Bethanien besetzt haben. CHRISTOPH VILLINGER

Weitere Informationen: www.bethanien.de; Bürgerinitiative: www.bethanien.info