Rolle rückwärts im Datenschutz

In Niedersachsen übernimmt das Innenministerium den Datenschutz. EU-Kommission moniert fehlende Unabhängigkeit der Datenschützer in einzelnen Bundesländern. Innenminister Schily (SPD) weist Kritik zurück und erklärt die EU für nicht zuständig

AUS HANNOVER JÜRGEN VOGES

„Völlige Unabhängigkeit“ soll den Kontrollstellen für den Datenschutz eigentlich in allen Ländern der europäischen Union zustehen. So verlangt es zumindest eine schon aus dem Jahr 1995 stammende EU-Richtlinie. Weil es alle deutschen Bundesländer nach Auffassung der EU-Kommission mit der Unabhängigkeit ihrer Datenschutzbeauftragten nicht so genau nehmen, hat die Kommission Anfang Juli ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet.

Völlig unbeeindruckt von der Kritik aus Brüssel zeigt sich das Land Niedersachsen. Dort soll der Datenschutzbeauftragte Anfang kommenden Jahres die Zuständigkeit für den Datenschutz im nichtöffentlichen Bereich, also für die gesamte Privatwirtschaft, abgeben.

Das von Uwe Schünemann (CDU) geleitete Innenministerium, so hat es das Landeskabinett schon im Mai beschlossen, soll dann den größten Teil des Datenschutzes selbst übernehmen, und der Datenschutzbeauftragte soll nur noch die öffentliche Verwaltung kontrollieren. Der niedersächsische Datenschutzbeauftragte Burghard Nedden (SPD) wollte die Halbierung seiner Kompetenzen nicht hinnehmen, machte schon vor einiger Zeit von der Altersteilzeitregelung für niedersächsische Beamte Gebrauch und wird im März kommenden Jahres vorzeitig aus dem Amt ausscheiden.

Mit der Übernahme eines Großteils des Datenschutzes durch das Landesinnenministerium selbst wählt Niedersachsen jene Organisationsform, die die Europäische Kommission am stärksten kritisiert. Das wurde auch in einer Anhörung des niedersächsischen Landtags deutlich, die sich diese Woche mit der Neuorganisation befasste.

Der innenministerielle Datenschutz, wie ihn Niedersachsen erst noch einführen will, ist in den Ländern Baden-Württemberg, Brandenburg und Saarland heute schon Wirklichkeit. Dort ist die Datenschutzaufsicht im nichtöffentlichen Bereich einfach Teil der normalen Innenverwaltung und unterliegt fachlich und rechtlich der Weisungsbefugnis der Minister. „Völlig unabhängig“, wie es EU-Recht verlangt, sei sie daher nicht, stellte der Vizepräsident der EU-Kommission, Franco Frattini, schon am 5. Juli in einem Schreiben an Bundesaußenminister Joschka Fischer fest. Frattini monierte seinerzeit allerdings auch, dass in allen anderen Bundesländern die Landesregierungen zumindest die Dienstaufsicht über ihre Datenschutzbeauftragten haben – also etwa die Einhaltung von Arbeits- und Urlaubszeiten oder des Beamtenrechts kontrollieren können, auch wenn sie sich in Datenschutzfragen selbst nicht einmischen dürfen.

Bei der Anhörung im Landtag in Hannover sprachen sich der Bundesbeauftragte für Datenschutz Peter Schaar, dessen Kollegen aus den Ländern Nordrhein-Westfalen und Berlin und auch die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union klar gegen den von der niedersächsischen CDU/FDP-Koalition vereinbarten innenministeriellen Datenschutz aus.

Mittlerweile hat Innenminister Schünemann allerdings ausgerechnet von rot-grüner Seite Schützenhilfe bekommen. Bundesinnenminister Otto Schily hat für die Bundesregierung eine Stellungnahme an die EU-Kommission formuliert, die alle Kritik an der Organisation des Datenschutzes in den Bundesländern zurückweist und mit Blick auf das Subsidaritätsprinzip der EU das Recht abspricht, sich mit der Verwaltungsorganisation in den Bundesländern zu befassen. Der niedersächsische Noch-Datenschutzbeauftragte Nedden erwartet, dass die EU-Kommission wegen dieses Themas vor den Europäischen Gerichtshof ziehen wird.