Auf der Suche nach neuen Ölfässern

Die Rekordpreise an den deutschen Tankstellen führen zum Parteienstreit über die nationalen Ölreserven

BERLIN taz ■ Die Opposition wartete gestern mit einer Ad-hoc-Idee auf, wie den steigenden Benzinpreisen zu begegnen sei: Kanzlerkandidatin Angela Merkel griff begeistert den FDP-Vorschlag auf, die deutschen Ölreserven anzuzapfen. „Ich glaube, dass man das sehr positiv prüfen sollte“, sagte sie nach einem Treffen der Union mit den Liberalen auf dem so genannten „Wechselgipfel“.

Die Benzinpreise stiegen gestern weiter: Die Mineralölkonzerne Total und Aral hoben ihre Preise erneut um 4 Cent pro Liter an. Dabei hatten die Preise schon am Mittwoch einen neuen Rekord von durchschnittlich 1,33 Euro für einen Liter Super erreicht. Es war der „teuerste Tanktag“ in Deutschland, wie sich der ADAC beschwerte. Damit wirkt sich der Hurrikan „Katrina“ auch in Europa aus, der seit Montag die amerikanische Ölindustrie rund um den Golf von Mexiko lahm gelegt hat. US-Präsident Bush hat die nationalen Ölreserven bereits freigegeben; diese Idee will Merkel nun auf Deutschland übertragen.

Die Bundesrepublik lagert momentan rund 27 Millionen Tonnen an Rohöl und Ölprodukten, die im Falle einer Krise den Gesamtverbrauch von 90 Tagen decken sollen. Das ist keine einsame Entscheidung der Bundesregierung, sondern basiert auf Abkommen mit der Internationalen Energiebehörde und der Europäischen Union.

Allerdings hat es die Bundesregierung gestern abgelehnt, die Ölreserven freizugeben. „Es gibt keine Notwendigkeit für eine solche Maßnahme“, ließ das zuständige Wirtschaftsministerium wissen. Man gehe von einer „Beruhigung der Situation“ aus.

So sehen es auch die Ölexperten. Kurzfristig erwartet Sandra Ebner von der DekaBank zwar, dass der Rohölpreis auf 75 Dollar pro Barrel steigen könnte. Es handle sich aber nur um eine „Überreaktion“ der Märkte. Langfristig werde der Preis wieder fallen, bleibe allerdings bei „deutlich über 60 Dollar“.

Viel dramatischer ist die Lage bei den Ölprodukten. In den letzten vier Tagen stieg der Benzinpreis an der New Yorker Warenterminbörse Nymex von 1,9 auf 2,9 Dollar pro Gallone – also um glatte 50 Prozent. „Das habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt“, sagt Ölhändler Otto Wiesmann.

Hintergrund: Die Ölveredelungskapazitäten werden knapp, denn der Hurrikan „Katrina“ hat acht Raffinerien im US-Süden komplett lahm gelegt. Nun kaufen die USA im großen Stil Benzin in Rotterdam auf: „Wir spüren einen ganz starken Sog“, sagt eine Esso-Sprecherin. Folge: Auch in Europa steigen die Benzinpreise stark.

Beim Diesel hingegen bleibt es ruhig; er kostete am Mittwoch durchschnittlich 1,13 Euro pro Liter. Grund: Die Amerikaner fahren kaum Dieselautos und müssen sich daher nicht zusätzlich in Europa eindecken.

Die Ölexperten sind dagegen, die nationalen Reserven aufzulösen. Sie sehen darin nur eine „symbolische Geste“.

ULRIKE HERRMANN

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