Keine Arbeit? Kein Problem!

Nach der Bundestagswahl wird sich womöglich einiges ändern. Doch mit der Massenarbeitslosigkeit wird auch eine CDU-geführte Regierung leben lernen müssen. Es wird Zeit, sich von der Vorstellung einer natürlichen Vollbeschäftigung zu verabschieden und dies als Chance, nicht als Makel zu sehen

VON FELIX ROHRBECK

„Vorfahrt für Arbeit“ oder „Sozial ist, was Arbeit schafft“ – mit diesen Parolen will die Union die Wahl am 18. September gewinnen. Immer wieder hält sie dem Kanzler seine eigenen Worte von 1998 vor. Gerhard Schröder hatte damals gesagt, dass er es nur verdient wiedergewählt zu werden, wenn es ihm gelingt, die Arbeitslosenquote „signifikant“ zu senken. Davon kann keine Rede sein. Doch würde die Union es besser machen? Vermutlich nicht. Während die Parteien immer noch so tun, als sei die Massenarbeitslosigkeit vor allem ein vom politischen Gegner verursachtes Problem, schätzen die meisten Deutschen die Situation realistischer ein. Bei einer Umfrage von Infratest dimap waren im Juli knapp zwei Drittel der Befragten der Meinung, dass die Politik nur begrenzt Einfluss auf den Arbeitsmarkt hat.

Auch Ökonomen wirken angesichts von fünf Millionen Arbeitslosen oft ratlos. Sie unterscheiden zwischen struktureller, konjunktureller, saisonaler und friktioneller Arbeitslosigkeit, der so genannten Sucharbeitslosigkeit. Doch warum die Arbeitslosigkeit seit Jahrzehnten stetig zunimmt und was man dagegen tun könnte, wissen sie letztlich auch nicht. Meist erschöpft sich ihre Weisheit in der Forderung nach mehr Wachstum. Doch abbauen ließe sich die Arbeitslosigkeit aufgrund der Produktivitätssteigerungen erst ab einem Wachstum von drei Prozent – einer Marke, die in Deutschland seit der Wiedervereinigung nur während des New-Economy-Hypes im Jahr 2000 erreicht wurde. Unser durchschnittliches Wachstum seit 1992 beträgt gerade mal 1,3 Prozent.

Offensichtlich müssen wir uns von der tief sitzenden Vorstellung einer natürlichen Vollbeschäftigung verabschieden. Und vielleicht ist das auch gar nicht so schlimm, wie man uns ständig einzureden versucht. Wenn wir immer produktiver werden, also mit weniger Arbeit dasselbe Ergebnis erzielen können, ist das erst mal kein Problem, sondern ein Erfolg. Der Kapitalismus sorgt durch Innovation und Effizienz dafür, dass wir einen immer größeren Teil unserer Zeit den Dingen widmen können, die wir wirklich tun wollen. Weniger Arbeit ist so gesehen kein Ausdruck von Armut, sondern, im Gegenteil, Zeichen unseres Wohlstands.

Doch wäre es zynisch, steigende Arbeitslosenzahlen als Erfolg zu feiern. Kaum etwas macht Menschen unglücklicher als der Verlust ihres Arbeitsplatzes. Schwerer als der Einkommensrückgang wiegen das angeknackste Selbstwertgefühl und die soziale Vereinsamung. Hinzu kommt die Sozialstaatsbürokratie, mit der sich Arbeitslose herumplagen müssen.

Das Problem ist also weniger die Arbeitslosigkeit selbst als unser Umgang mit ihr. Und hier setzt das Konzept eines staatlichen Grundeinkommens an. Die Idee ist ebenso simpel wie radikal: Jeder Bürger erhält vom Staat ein existenzsicherndes Einkommen – ohne dafür auch nur einen Antrag ausfüllen zu müssen. Es wird schlicht immer gewährt, vollkommen bedingungslos. Was wie linke Träumerei klingt, ist die Idee eines Nobelpreisträgers. Milton Friedman wollte damit in den 70ern das US-Sozialsystem reformieren. Dreißig Jahre später findet dies auch bei liberalen Ökonomen und Sozialwissenschaftlern in Deutschland Unterstützung. Denn im Gegenzug sollen alle anderen öffentlichen Almosen wegfallen, die unseren Sozialstaat in immer stärkerem Maße überfrachten und lähmen. Arbeitslosen- und Rentenversicherung, Kindergeld und Bafög – all das würde durch ein einziges Grundeinkommen, das jedem zusteht, ersetzt. Aber würde ein Grundeinkommen nicht zu einem Kollaps der Staatsfinanzen führen, weil wir ohne finanziellen Druck alle nur noch faul vor dem Fernseher rumlägen? Studien, die sich dieser Frage angenommen haben, kommen fast alle zum gleichen Ergebnis: Die meisten Menschen würden trotz Grundeinkommen weiterarbeiten. Zum einen aus sozialen und gesellschaftlichen Gründen, weil sie einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten wollen und Arbeit eine Sinn stiftende Funktion hat. Zum anderen schlicht, weil sie auf mehr Geld aus sind. Ein Grundeinkommen befreit zwar vom Druck zu arbeiten, um die eigene Existenz zu sichern, doch der Wunsch, mehr und vor allem mehr als andere zu besitzen, besteht weiter. Und wenn dennoch ein paar Faulenzer vor dem Fernseher liegen blieben, wäre das auch kein Problem. Das tun sie auch heute schon. Nur würde niemand mehr versuchen, mit Ein-Euro-Jobs daran etwas zu ändern. Wer faulenzen will, faulenzt; wer arbeiten will, arbeitet.

Doch vermutlich würden mehr und mehr Menschen weder auf der faulen Haut liegen noch einer geregelten Erwerbsarbeit im heutigen Sinne nachgehen. Schon 1986 vermutete der Soziologe Rolf Dahrendorf: „Wir stehen möglicherweise an der Schwelle zu einer Gesellschaft, in der Erwerbsarbeit gegenüber Formen der freien Tätigkeit zurücktritt, in diesem Sinne am Ende der Arbeitsgesellschaft und am Beginn von so etwas wie der Tätigkeitsgesellschaft.“ Der Unterschied zwischen Arbeit und Tätigkeit ist alles andere als neu. Wolf Lotter schreibt im Wirtschaftsmagazin brand eins: „Arbeit, genauer: Erwerbsarbeit, galt den antiken Denkern als so ziemlich das Letzte. Man unterschied, wie heute wieder, Arbeit und Tätigkeit. Das eine sicherte die nackte Existenz und entsprang immer den Notwendigkeiten. Das andere hingegen beschrieb, was Menschen gern und freiwillig tun, selbst dann, wenn es besonderer Leistungen und Anstrengungen bedurfte.“

Die vielleicht wichtigste Funktion eines Grundeinkommens ist es, Arbeit und Einkommen voneinander zu entkoppeln, um so mehr Tätigkeit zu ermöglichen. Eltern könnten sich verstärkt um die Erziehung und Fürsorge ihrer Kinder kümmern, ohne sich um die Existenzsicherung der Familie sorgen zu müssen. Gesellschaftliches Engagement in Sportvereinen, Forschungseinrichtungen oder Kunstprojekten würde vermutlich zunehmen. Gleichzeitig würden sich die Ansprüche an den Arbeitsplatz verändern. Man würde nicht mehr unbedingt dort arbeiten, wo es das meiste Geld gibt. Andere Faktoren wie etwa das Klima am Arbeitsplatz oder die Frage, ob ich mich mit den erzeugten Produkten identifizieren kann, gewännen an Bedeutung.

Allmählich scheint die Idee eines Grundeinkommens auch in der Politik Fuß zu fassen. Seit September 2004 beschäftigt sich ein Arbeitskreis der Grünen mit dem Thema. Im Mai wurde der Entwurf einer „Neuen Grünen Grundsicherung“ vorgestellt. Darin wird der Versuch, „Erwerbslose in Beschäftigungsverhältnisse zu drängen, die es nicht mehr gibt“, grundsätzlich in Frage gestellt. Man kommt zu dem Ergebnis, dass „der ‚Zwang zur Arbeit‘ im ALG II aufgrund der Situation am Arbeitsmarkt nicht mehr zeitgemäß und daher abzuschaffen“ ist. Als Alternative wird sich für eine Grundsicherung ausgesprochen, die dem Grundeinkommen sehr nahe kommt: „Eine steuerfinanzierte Grundsicherung für alle BürgerInnen vom Kindes- bis zum Rentenalter, die ein bedarfsabhängiges, gesellschaftliche Teilhabe sicherndes Einkommen garantiert, ist das langfristige Ziel dieses Umbau des Sozialstaats.“

Der Knackpunkt bei der politischen Umsetzung der Idee eines Grundeinkommens ist die Frage der Finanzierung. Selbst wenn man nur das heute gesetzlich festgelegte Existenzminimum – 7.664 Euro pro Jahr und Person – zugrunde legt, ergibt sich bei 82 Millionen Deutschen die gewaltige Summe von knapp 630 Milliarden Euro. Andererseits betragen die gesamten Sozialausgaben, von denen durch das Grundeinkommen ein Großteil entfallen würde, heute 720 Milliarden Euro. Der Präsident des Hamburger Weltwirtschaftsarchivs, Thomas Straubhaar, hält ein Grundeinkommen deshalb durchaus für finanzierbar. Und weist darauf hin, dass allein durch die Einsparungen bei der Sozialbürokratie neue Handlungsspielräume entstünden.

Natürlich sind 7.664 Euro im Jahr alles andere als das Paradies. Aber es wäre ein Anfang. Und zugleich ein Abschied: vom Märchen der Vollbeschäftigung und der Vorstellung, dass nur essen soll, wer auch arbeitet.