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: Sarah Weeks und An Na schreiben respektable Jugendromane aus den Zutaten gängiger Sozialdramen

Typische Sozialthemen sind ja ein bisschen in Verruf geraten, aber tot zu kriegen sind sie nicht. Allerdings sind Sozialthemen alten Stils, bei denen schon zu Beginn der Recherche feststeht, für wen Partei zu ergreifen ist, selten geworden – gut gemeint reicht nicht mehr. Geschichten über Arbeitslose, Behinderte oder Ausländer, die Klassiker des Genres, sehen deshalb heute in der Regel anders aus. Das lässt sich sogar verallgemeinern: An die Stelle der alten Gewissheiten über Opfer und Täter ist ein Grundgefühl der Ambivalenz getreten, und statt Opfergeschichten werden gerne Befreiungsgeschichten erzählt – interessanterweise im Journalismus genauso wie im Jugendbuchbereich.

So eine klassische Sozialgeschichte, in der sich die Heldin selbst befreit und dafür einen Preis bezahlen muss, hat die amerikanische Sängerin und Kinderbuchautorin Sarah Weeks geschrieben. Heidi lebt mit ihrer geistig behinderten Mutter und der Nachbarin Bernadette zusammen. Gerade mal 23 Wörter kennt diese Mutter, für die selbst das Öffnen einer Dose schwer zu erlernen ist. Wie soll sie bloß ein Kind erziehen? Sie erzieht es nicht, aber sie liebt es. Und so wächst Heidi, so heißt das Mädchen, zunächst relativ sorglos heran. Diese Sorglosigkeit kann man glauben oder eben nicht. Dass Heidi nicht einmal zur Schule geht (Bernadette bringt ihr das Nötigste bei) und keine Freunde außer dem dicken Zander hat – was soll man davon halten? Da ist man fast erleichtert, als die auf verquere Art heile Welt endlich Blessuren bekommt.

Wer bin ich? will Heidi wissen und bekommt doch keine Antwort. Ihre Mutter, vor 13 Jahren mit einem Baby im Arm aus dem Nichts vor Bernadettes Tür aufgetaucht, kennt nicht einmal ihren eigenen Namen – „So be it“, so sei es, nennt sie sich. Doch eines Tages findet Heidi eine Kamera mit einem belichteten Film. Die Fotos sind auf einer Weihnachtsfeier in Liberty im Bundesstaat New York gemacht. Die Spurensuche beginnt. Und mit ihr eine Art Roadmovie, das den Teenager durch halb Amerika führt, bis die Suche in einem Heim für Behinderte endet. Das alles ist spannend erzählt und gewinnt im Laufe der Geschichte gut an Fahrt. Wie in einem Kriminalstück wird Heidis Herkunft entschlüsselt. Doch die Freiheit, die Heidi nicht nur räumlich immer weiter von der Mutter entfernt, gibt es nicht umsonst. Die Mutter stirbt – zurück bleibt das in der Trauer verklärte Bild einer unerschütterlichen Liebe.

Eine typische Einwanderergeschichte erzählt die amerikanische Koreanerin An Na. Die kleine Jonghu bricht mit ihren Eltern aus Korea ins gelobte Land nach Amerika auf. Doch das Paradies entpuppt sich als verdammt hartes Pflaster. Die Eltern schuften in diversen Putz- und Gärtnerjobs und können damit doch nicht mehr als nur den Lebensunterhalt bestreiten. Während Jonghu zur Schule geht und Englisch lernt, bleiben ihre Eltern sprachlich und kulturell isoliert. Die übliche, traurige Abwärtsspirale beginnt: der Vater trinkt, schlägt Frau und Tochter, verliert seine Arbeit. Die Mutter sucht Trost in der Kirche. Die Ehe zerbricht. Doch trotz der vielen zerplatzen Träume wird ein Wunsch wahr: Jonghu wird eine gute Ausbildung bekommen, die Mutter befreit sich aus ihrer unglücklichen Ehe und steht auf eigenen Füßen.

Dennoch wäre dies nur ein Fall unter vielen, wäre die Geschichte nicht so konsequent aus Jonghus Sicht erzählt. Der Plot ist zwar konventionell, aber die Erzählung ist es nicht. Und so ist man am Ende erstaunt, was für ein respektabler Roman aus diesen Zutaten gängiger Sozialdramen entstanden ist.

ANGELIKA OHLAND

Sarah Weeks: So B. It. Heidis Geschichte. Aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit. Hanser Verlag, München 2005. 224 Seiten, 15,90 EAn Na: Im Himmel spricht man Englisch. Aus dem amerikanischen Englisch von Cornelia Krutz-Arnold. Sauerländer Verlag, Düsseldorf 2005. 182 Seiten, 13,90 E