Pflege vom Monster

Das Buch „Abgezockt und totgepflegt“ rechnet mit dem Alltag in Pflegeheimen ab – leider mit einigen Schwächen

Zwölf Uhr mittags – nicht nur im Western eine gute Zeit für eine Abrechnung. Markus Breitscheidels Gegner ist übermächtig, ein gemeingefährliches Monster: das deutsche Pflegesystem. Eineinhalb Jahre arbeitete Exmanager Breitscheidel nach einer Lebenskrise als Pflegehilfskraft – Akkordarbeit. Seine Erfahrungen schildert er im Buch „Abgezockt und totgepflegt“, das gestern, am Erscheinungstag, in Berlin vorgestellt wurde.

Am Vorabend lief ein Beitrag bei „Monitor“, die erste Androhung einer einstweiligen Verfügung liegt dem Verlag vor, Günter Wallraff ist Pate des Projekts – die Zeichen stehen auf Skandal.

„Das Buch wird Ihnen sehr viel Ärger machen“, prophezeite dann um kurz nach zwölf auch Rita Süssmuth, Bundestagspräsidentin a. D., die neben Wallraff einige einführende Worte sprach. Autor Breitscheidel nickte nur kurz, diese Rhetorik schien ihm zu gefallen. Zuvor hatte schon Econ-Verlagsleiter Jürgen Diessl das Buch als „Sprengstoff“ bezeichnet. Dabei guckte er wie ein Junge, der voller Vorfreude vor der Auslage mit dem Silvesterfeuerwerk steht. Ausgerechnet der alte Skandalhase Wallraff zerstörte seine Hoffnungen auf den großen Knall. „Das Buch wird unzensiert weitererscheinen“, sagte er lapidar und verwies auf im Prozessfall aussagewillige Exkollegen Breitscheidels und auf dessen Video- und Tonbandbelege.

Die anwesenden Vertreter von Dachverbänden der Alten- und Pflegeheime, die sich in der anschließenden Fragerunde in nervigen Koreferaten nach und nach outeten, würden wohl lieber eine Schicht in einer ihrer Einrichtungen schieben, als dies einfach hinzunehmen. So setzte eine von ihnen gleich an den größten beiden Mankos von „Abgezockt und totgepflegt“ an: erstens der Frage, warum Breitscheidel mit seinen überwiegend desaströsen Erlebnissen nicht früher und energischer an die Öffentlichkeit oder einfach zur Polizei gegangen ist, und zweitens der zweifelhaften Verallgemeinerung von fünf Einzelfällen, die Breitscheidel lieber Beispiele nennt: „Es handelt sich hier um eine Systematik und nicht um Einzelfälle.“

Breitscheidel jedenfalls hat seine Lebenskrise überwunden, will weiter auf Wallraffs Spuren wandeln. „Ich hoffe, ich habe einen Nachfolger gefunden“, sagte dieser. „Man wird bald wieder von ihm hören.“ DAVID DENK