Die Maas aller Dinge

Hilfloser Abgrenzungsversuch gegen andere Populisten: In ihrem Werbespot zur Bundestagswahl weiß sich die NPD nicht anders zu helfen, als die erste Strophe des Deutschlandliedes abzusingen

von Clemens Niedenthal

Nirgends vielleicht lassen sich dieser Tage die Diffusion der Lebensstile sowie die Differenzen im ökonomischen wie mentalen Status quo einer Gesellschaft so trefflich beobachten wie in den telemedialen Wahlwerbungen der Volksparteien und Randgruppierungen. Und in allen Häuflein, die das Volk zumeist umso heftiger auf ihrer Seite wähnen. Irgendein Volk zumindest. Eines, das zu werden sich diese unsere Nation tunlichst aufschwingen sollte.

Vor kurzem und auf dieser Seite war die Rede von Menschen, die gerne darüber räsonieren, welches Tier zu sein ihnen denn am nächsten käme. Die NPD beantwortet diese Frage prompt und eindeutig. In den ersten Sekunden ihres am Samstag vor den „Tagesthemen“ versendeten Clips erhebt sich ein stolzer Adler über ein alpines Massiv. Der ewig missverstandene Richard Wagner darf den Soundtrack dazu liefern. Scharf und stolz blick das Tier auf die Welt herab.

Ach, wäre es am Samstag vor den „Tagesthemen“ doch bei diesem animalischen Heldenepos, bei dieser angekitschten Alpenfolklore geblieben! Denn was danach kommen sollte, hätten am Samstag wahrscheinlich nur wenige für möglich gehalten. Der NPD-Spot schloss mit der ersten Strophe des Deutschlandliedes.

Lied aller Deutschen

Ein Lied über ein Land, das tunlichst von der Maas bis an die Memel zu reichen hätte. Und von der Etsch … kurz bevor der Chor das Wort „Belt“ intonieren konnte, war dann immerhin die Sendezeit zu Ende. Das Deutschland des Textdichters Hoffmann von Fallersleben war 1841 von vier Flüssen begrenzt, die historische Siedlungsgrenzen deutschsprachiger Volksgruppen markierten und Grenzgewässer des Deutschen Bundes waren: die Memel als Ostpreußens Nordgrenze zu Litauen, die Maas als Westgrenze des Fürstentums Limburg, die Etsch in Südtirol und der Belt als deutsche Siedlungsgrenze im Norden. Fallersleben hatte mit seinem „… über alles“ zum Ausdruck bringen wollen, dass die Einheit aller deutschsprachigen Gebiete allen anderen politischen Forderungen vorgezogen werden sollte.

„Deutschland, Deutschland über alles“ und zur besten Sendezeit im Jahr 2005, das ist allerdings der zumindest vorläufige Höhepunkt eines an moralischen Geschmacklosigkeiten überreichen Wahlkampfgetöses. Und der wohl kalkulierte Tabubruch einer politischen Gruppierung, die sichtlich von der Radikalisierung des politischen Mainstreams profitiert: Die NPD musste schlicht und ergreifend ihr Gestenrepertoire radikalisieren, um sich gegen die Fremdarbeiterschelte eines Oskar Lafontaine oder die Diffamierung des ganz nahen Ostens durch die Stoibers und Schönbohms zu behaupten.

Wo der politische Mainstream längst an die oberflächlichsten Ressentiments des Wahlvolks appelliert, kann ein bloßer „Inländerfreundlich“-Slogan der NPD längst keine mediale Aufregung mehr evozieren.

Und wo ein Bundesverfassungsgericht nichts Untersagenswertes an der Anrufbeantworteransage „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“ findet, so geschehen im vergangenen Juni, darf es eine angeblich demokratische Partei offensichtlich wagen, die erste Strophe des Deutschlandliedes anzustimmen. Vor den „Tagesthemen“ und zur besten Sendezeit.

Es soll hier gar nicht einmal um die Wählerstimmen gehen. Um jene wenigen, die mit einem „Die trauen sich wenigstens was“-Gefühl in der Magengrube nun doch ihr Kreuz am rechten Fleck machen. Denn die Nationalen werden am 18. September keine Rolle spielen. Daran wird auch ein Lied nichts ändern. Verboten ist das Absingen der anstößigen Strophe ohnehin nur dann, wenn dies im Zusammenhang oder vor dem Hintergrund nationalsozialistischer Symbole geschieht – und nicht, wie im NPD-Spot, vor dem Hintergrund einer blonden jungen Frau im übrigens bauchfreien, blütenweißen Shirt in einem wogenden Ährenfeld.

Dennoch stellt sich zum Beispiel die Frage, ob eine zudem öffentlich-rechtliche Sendeanstalt nicht im Vorfeld auf einen solchen Werbeclip hätte reagieren können, reagieren müssen. Es stellt sich die Frage, ob eine Gesellschaft solch bierernst gemeinte Provokationen weiterhin ignorieren darf. Eine Gesellschaft, die anlässlich des 60. Jahrestags der Befreiung vom Nationalsozialismus eben erst ihre eigene Belehrbarkeit gefeiert hat.

Unterdessen verwandelt sich das nachträglich eingeblendete Sätzlein, für den Inhalt seien allein die Parteien verantwortlich, zunehmend in einen Hinweis von ähnlicher Relevanz wie das „Ohne Gewähr“ bei der Ziehung der Lottozahlen.