Schicht im Schacht

Lidokino (5): Klaustrophobiker sollten beim Film „Workingman’s Death“ wegsehen. Später kann man in Venedig ja Björk und Takeshi Kitano gucken

Während die Kollegen schon Pizza essen, sitze ich noch im Kino,um mir die Geschichte von Zato Ichi anzusehen

VON CRISTINA NORD

Das Diner zu Ehren von „Takeshi’s“, Takeshi Kitanos neuem Film, geht zu Ende. Der Garten des Hotel des Bains hat sich geleert. Das Buffet – es gab Meeresfrüchterisotto, gratinierte Muscheln, Pasta mit Krebsfleisch und Wiener Schnitzel – ist abgeräumt. Aus den hohen Bäumen rieselt Laub wie ein Vorbote des Regens, der am kommenden Tag über dem Lido niedergehen wird. Takeshi Kitano ist erst zu erkennen, als er, im Begriff aufzubrechen, seinen Platz neben dem Pool verlässt und sich wiederholt verbeugt. Wenig später geht auch Björk – die Musikerin ist am Lido zu Gast, da sie in Matthew Barneys Beitrag zum Orizzonti-Programm „Drawing Restraint 9“ die weibliche Hauptrolle spielt und den Soundtrack besorgt. Sie trägt zu Schnecken aufgerollte Zöpfe und einen Anzug mit überproportionierter Schulterpartie.

Am folgenden Abend, beteuern drei Wiener und ein Kölner Filmkritiker, habe sie in einem Restaurant in der Via Lepanto Pizza gegessen. Aber nur G. will sie erkannt haben. Da ein Filmfestival ein Ort für zufällige Verdichtungen, Übersprungshandlungen und leichtfertige Überblendungen von Fiktion und Realität ist, begreife ich all dies als Teil eines Fluidums. Während die Kollegen schon Pizza essen, sitze ich noch im Kino, um mir in der Retrospektive Misumi Kenjis „Zato Ichi monogatari“ (1962) anzusehen. Darin schwärzt sich eine Jungvermählte die Zähne, so wie es Björk auch in „Drawing Restraint 9“ tut. Zudem ist „Die Geschichte von Zato Ichi“ der erste Teil einer Serie, in deren Mittelpunkt die Figur des blinden Samurais und Masseurs Ichi steht. Vor dieser Figur wiederum verbeugt sich Kitanos „Zatoichi“ (2003). In den Gesten und im Mienespiel Katsu Shintanos, des Hauptdarstellers in Misumi Kenjis Film, sehe ich Kitano, wie er sich am Vorabend im Hotel des Bains verbeugt.

Um ein Sujet, das mit dem Ambiente eines Filmfestivals nichts zu tun hat, geht es in einer österreichisch-deutschen Koproduktion im Orizzonti-Programm. Michael Glawoggers Dokumentarfilm „Workingman’s Death“ befasst sich in fünf Kapiteln mit Arbeit, und zwar mit harter, körperlicher Arbeit. Das erste Kapitel, „Helden“, führt den österreichischen Regisseur nach Donbass, eine Minenstadt in der Ukraine; das zweite, „Geister“, zu einem Schwefelberg in Indonesien, das dritte, „Löwen“, zu einem Schlachthof im nigerianischen Port Harcourt, das vierte, „Brüder“, auf eine Werft in Pakistan, das fünfte, „Zukunft“, zu einem Stahlwerk im chinesischen Anshan und, in einer Art Coda, nach Duisburg-Meiderich. Dort ist das Stahlwerk längst Freizeitpark und Museum seiner selbst.

Zunächst interessiert sich Glawogger für die sinnliche Seite der Arbeit: In der Ukraine etwa begleiten er und der Kameramann Wolfgang Thaler die Bergleute tief in den Schacht hinein – bis an Stellen, wo man robben muss, um vorwärts zu kommen. Die Enge strukturiert das Bild: Der Boden des Tunnels gibt die erste horizontale Achse vor, die Decke die zweite; der schmale Spalt dazwischen wird vom Gleißen der Kopflampen und dem Schillern der Kohlebrocken dominiert. Das mag in Farbe gedreht sein, hat jedoch die Anmutung eines Schwarzweißfilms, und wer zur Klaustrophobie neigt, macht besser die Augen zu. In Indonesien setzt Glawogger die bizarren, gelben Felsen, den Dampf und den Nebel des Berges in Szene; das Quietschen der Weidenkörbe, die die Arbeiter schultern, um die Schwefelbrocken zu transportieren, legt sich auf ganze Sequenzen. 70 Kilo Last sind in den Körben, und nicht mal Esel zum Transportieren gibt es – von Förderbändern ganz zu schweigen.

Glawogger sucht nach der spektakulären Einstellung, nach dem Bild, das man so noch nicht gesehen hat: Auf dem nigerianischen Schlachthof etwa werden Ziegenleiber und Kuhköpfe im offenen Feuer geröstet. Das sieht so infernalisch aus, dass einige Zuschauer an dieser Stelle das Kino verlassen. Doch anders als zum Beispiel in Hubert Saupers „Darwin’s Nightmare“ stört diese Neigung zum Spektakulären nicht, im Gegenteil. Dass Glawogger so viel Wert auf Farben, Licht, Geräusche und den einen oder anderen Schockeffekt legt, macht gerade den Reiz von „Workingman’s Death“ aus. Die Idee, Arbeit an so unterschiedlichen Orten, unter so unterschiedlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in einen Film zu zwingen, geht ästhetisch auf – ob sie es auch konzeptuell tut, lässt sich in der Eile des Festivalgeschehens noch nicht sagen.