Oberster Krisenmanager in der Krise

Für die Zeit nach dem Abfluss der Wassermassen im katastrophengebeutelten New Orleans prophezeite US-Heimatschutzminister Michael Chertoff einen Anblick, der „so schlimm sein wird wie nichts, was wir jemals in diesem Land gesehen haben, vielleicht mit Ausnahme des 11. Septembers“. Die US-Regierung, die nun offenbar den Ernst der Lage im Unglücksgebiet erkannt hat, schickte ihren obersten Krisenmanager in das Unglücksgebiet, um ihre Tatkraft zu beweisen.

Plötzlich steht der asketisch aussehende verheiratete Vater zweier Kinder, der sonst das Rampenlicht scheut, im Blick der Öffentlichkeit. Seine Behörde war in der vergangenen Woche massiv unter Beschuss geraten. Viel zu spät, unzureichend und unorganisiert habe sie auf das Desaster reagiert.

Der 52-jährige Chertoff gilt vielen als Technokrat und zu wenig als Macher, wie der ursprünglich von Präsident Bush für das Amt vorgesehene bullige Ex-Polizeichef von New York, der jedoch nach einem Hausmädchen-Skandal im Frühjahr das Handtuch warf. Chertoff, Sohn eines Rabbiners aus New Jersey und Harvard-Absolvent, der sowohl die amerikanische als auch die israelische Staatsbügerschaft besitzt, begann seine Karriere in der Anwaltskanzlei Murray Gurfein, die sich auf Berufungsverfahren spezialisierte. Später war er Gerichtsschreiber beim Obersten Gerichtshof der USA, bevor ihn Rudolph Giuliani, damals Staatsanwalt in Manhattan, anheuerte. Mit ihm arbeitete er an vielen Mafiaprozessen und politischen Korruptionsaffären. 1990 wurde er von Bush senior zum Staatsanwalt in seinem Heimatstaat New Jersey berufen. Dort blieb er auf Bitte des demokratischen Senators Bill Bradley auch nach dem Wahlsieg von Bill Clinton. Ungeachtet der Schützenhilfe und Sympathien aus den Reihen der Demokraten ermittelte er im Auftrag des US-Senats im so genannten Whitewater-Skandal um dubiose Immobiliengeschäfte der Familie Clinton.

Mancher, siehe Mentor Giuliani, ist an der Herausforderung einer Katastrophe gewachsen. Ob dies auch Chertoff gelingt, ist ungewiss angesichts einer erst drei Jahre alten Behörde, die nach wie vor unter erheblichen Koordinierungsproblemen leidet, noch im Aufbau begriffen und in den Augen ihrer Kritiker ohnehin viel zu träge ist, um auf Katastrophen dieser Größenordnung zu reagieren.

JAKOB NEU