Entwicklungshilfe für Siemens

Zwei Bundestagsabgeordnete wollen 100 Millionen Euro, die eigentlich für die Armutsbekämpfung vorgesehen sind, für den Bau einer Stadtbahn in Vietnam nutzen

BERLIN taz ■ Im Wahlkampf sind die politischen Lager sauber getrennt – bei einer der letzten Zuckungen praktischer Politik vor dem 18. September ist das nicht der Fall. 100 Millionen Euro öffentlicher Förderung wollen die Bundestagsabgeordneten Walter Schöler (SPD) und Manfred Carstens (CDU) gemeinsam zugunsten von Siemens mobilisieren. Damit soll das Unternehmen in die Lage versetzt werden, erfolgreich für den Bau der Stadtbahn in Ho-Chi-Minh-Stadt (Vietnam, ehemals Saigon) zu bieten. Scharfer Widerspruch kommt von den Grünen, vornehmlich vom entwicklungspolitischen Sprecher Thilo Hoppe.

„Ein Sündenfall in letzter Sekunde“, sagt Hoppe. Kurz vor dem Ende der Legislaturperiode solle noch schnell eine teure Verpflichtung im Bundesetat untergebracht werden – vom Haushaltsausschuss des Bundestages, der morgen zum letzten Mal tagt. Gegen den Bau der Stadtbahn in Ho-Chi-Minh-Stadt an sich hat Hoppe nichts einzuwenden, ebenso wenig gegen eine mögliche Auftragsvergabe an Siemens. Was ihn stört, ist die mögliche Umwidmung von Entwicklungshilfe zur Exportförderung für eine deutsche Firma.

Schöler und Carstens wollen die 100 Millionen Euro als Darlehen aus Mitteln der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) nehmen, die dort für Entwicklungsprojekte eingeplant sind. Die Grünen befürchten nun, dass dieses Geld dann nicht mehr für die Zwecke zur Verfügung stünde, für die es eigentlich gedacht ist: Armutsbekämpfung, Verbesserung der Gesundheitsversorgung, Aids-Prävention. Die gesamte deutsche Entwicklungshilfe für Vietnam umfasst zurzeit etwa 36 Millionen Euro pro Jahr.

Auch Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), Bundesministerin für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ), lehnt die Förderung für Siemens ab. Das Geld würde aus ihrem Etat stammen und für andere Aufgaben nicht mehr zur Verfügung stehen. Wieczorek-Zeul verweist darauf, dass öffentlicher Transport nicht zu den zwischen der deutschen und der vietnamesischen Regierung vereinbarten Entwicklungsschwerpunkten gehöre. Nach Informationen der taz hat auch Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) kein Interesse, das Bahnprojekt aus dem Bundeshaushalt zu unterstützen. Für den Fall, dass das BMZ eine Umschichtung im eigenen Haushalt verhindern kann, befürchtet Eichel Mehrausgaben.

Für Siemens ist die Finanzierung aus Entwicklungsmitteln der KfW interessant, weil die entsprechenden Zinsen weit unter Marktniveau liegen. Die geringeren Kosten würden das Unternehmen in die Lage versetzen, einen günstigeren Preis im Ausschreibungsverfahren bieten zu können. Um das Geld im Haushaltsplan für das kommende Jahr zu verankern, haben Schöler und Carstens sich auch an das Bundeskanzleramt gewandt. Eine Reaktion von dort war gestern nicht zu erhalten.

Insgesamt umfassen die Kosten für eine kombinierte Straßen- und U-Bahn in Ho-Chi-Minh-Stadt bis zu einer Milliarde Dollar. Die von Siemens zu liefernden Bestandteile sollen rund 250 Millionen Dollar kosten. Das BMZ schätzt, dass eine Wertschöpfung von etwa 50 Millionen Dollar in Deutschland verbleiben würde. Auch angesichts dieser Zahl scheint man an einem 100-Millionen-Kredit kein Interesse zu haben. Siemens selbst wollte zu einer öffentlichen Finanzierung gestern keinen Kommentar abgeben.

HANNES KOCH