Österreich will Tschetschenen abschieben

Innenministerin verhandelt mit Moskau über Rückführung. Illegale Migranten seien in Wahrheit Russen

WIEN taz ■ „Beihilfe zum Mord“ wirft die Menschenrechtsorganisation Asyl in Not Österreichs Innenministerin Liese Prokop vor. Prokop (ÖVP) war letzte Woche in Moskau, um die russischen Behörden zu drängen, „illegale Migranten“ zurückzunehmen. Denn russische Staatsbürger bildeten die größte Gruppe der 2004 aufgegriffenen illegalen Einwanderer, von denen die meisten politisches Asyl beantragten – 6.000 von rund 35.000. Fast alle kamen aus Tschetschenien. Doch im Innenministerium, so Prokop, sei man sicher: „Viele kommen als Tschetschenen getarnt.“ Man wisse „sehr genau, dass sich viele als Tschetschenen ausgeben, aber keine sind.“

„Frau Prokop und ihre Ratgeber wissen es vielleicht nicht“, attackierte Michael Genner, der streitbare Chef der Asylhilfeorganisation, die Ministerin. „Aber Tschetschenisch ist eine eigene Sprache.“ Die Asylbehörden in Österreich seien auch in der Lage, Sprachtests durchzuführen. Sie prüfen die Asylwerber außerdem auf ihre Kenntnis tschetschenischer Sitten und Gebräuche. Daher könne sich niemand als Tschetschene „tarnen“.

90 Prozent der aus Russland stammenden Asylwerber erhalten in Österreich Asyl – weil das Ermittlungsverfahren ergibt, dass sie Tschetschenen sind und von Russland verfolgt werden. Prokop bekam nach eigenen Aussagen eine Zusage Russlands, Datenschutz und Menschenrechte würden respektiert. Aber Genner glaubt nicht an Putins Wort. Wer Tschetschenen nach Russland zurückführe, nehme in Kauf, dass sie verschleppt, gefoltert oder umgebracht würden.

Angesichts steigender Arbeitslosigkeit verordnet die Regierung Abschottung nach außen. Sie sieht das Land nicht nur von Asylwerbern bedroht. Die legale Zuwanderung belaste den Arbeitsmarkt, sagte Prokop gestern. Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein (ÖVP) bestätigte, dass die Ausländerarbeitslosigkeit stärker ansteige als die der Österreicher.

Auch Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat angedeutet, dass er sich die Forderung der Haider-Partei BZÖ nach Drosselung der Zuwanderung zu Eigen machen wolle. Die derzeit gültige Quote von 7.500 wird weitgehend von nachziehenden Angehörigen in Österreich arbeitender Migranten ausgefüllt. Die Senkung der Quote auf 6.000, wie vom BZÖ vorgeschlagen, wollte Prokop nicht bestätigen, aber: „Jeder Einwanderer belastet den Arbeitsmarkt, wenn er nicht benötigt wird.“

Im August erreichte die Arbeitslosigkeit den Rekordwert von 6,2 Prozent. Die bisher von der Regierung vorgestellten Beschäftigungspakete und ihre regelmäßigen „Gipfel“ haben keine sichtbaren Erfolge gebracht. SPÖ und Gewerkschaft sind der Meinung, dass an der falschen Seite die Schranke runtergelassen werde. Sie sehen in den weitgehend rechtlosen Saisonarbeitskräften, die nur für sechs Monate ins Land dürfen und das Lohnniveau drücken, die wirkliche Ursache für die Überlastung des österreichischen Arbeitsmarktes. ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch forderte die Regierung gestern auf, deren Anzahl – derzeit etwa 16.000 – einzuschränken. RALF LEONHARD