Ficken als Fulltimejob

Für seinen Dokumentarfilm „Cycles of Porn – Sex/Life in L. A. Part 2“ hat der Regisseur Jochen Hick den Alltag einer Big-Brother-artigen Porno-WG begleitet und sich auch sonst im schwulen US-Sex-Business umgesehen

Anfangs, wenn Jochen Hick in seinem Dokumentarfilm „Cycles of Porn – Sex/Life in L. A. Part 2“ von den 19- bis 23-jährigen Bewohnern einer Art pornogafischen Big-Brother-WG erzählt, wirkt alles recht utopisch. Man sieht die sympathischen und gut aussehenden Bewohner beim Sex; wie sie allein nackt am Computer mit zahlenden Kunden chatten und ein bisschen onanieren, manchmal erstaunlich große Dildos zu Hilfe nehmen, manchmal mit Mitbewohnern ficken. Alles wirkt relaxt und clean, selbst beim Fisten – vielleicht auch, weil es unter Pornodarstellern längst üblich ist, sich alle Schamhaare wegzurasieren. Mit der romantischen europäischen Tradition der Überschreitung hat das nichts zu tun. Ziemlich schnell hat man sich als Zuschauer an das, was hier Normalität ist, gewöhnt. So wird einer der Helden im Haus von seiner äußerst übergewichtigen Mutter interviewt: Es geht um die entsetzte Schwester, die zufällig in einem Bookshop ein Pornoheft mit ihrem Bruder auf der Titelseite entdeckt hatte.

Sehr angenehm und anschaulich erzählen die Bewohner von ihrem Leben. Von den Diskriminierungen, denen sie in ihrer Schulzeit ausgesetzt waren, wie sie von ihren Mitschülern immer verprügelt wurden, von ihrer Lust, beim Sex beobachtet zu werden, oder davon, wie sie wegen sexueller Handlungen verhaftet wurden. Ein wenig erstaunt mag man anfangs sein, wie wenig die Bewohner – 250 Dollar pro Woche plus Kost und Logis – bei ihrem Fulltimejob im Haus verdienen, andererseits macht ihnen ihre Arbeit auch Spaß.

Hicks Film ist sehr unangestrengt, auf eine Art, in der das weitgehende Fehlen eines Kommentars nicht bedeutungsschwanger wie so oft in Dokumentationen daherkommt. Es geht um den gleitenden Übergang zwischen bezahlten Akteuren und bezahlenden Konsumenten, zwischen Abenteuer und Ausbeutung in der schwulen Pornoindustrie von Los Angeles. Er erzählt von der sexuellen Utopie des Internets, innerhalb kurzer Zeit über einschlägige Chatforen Sexpartner zu finden; von privaten Sexpartys und „Bareback“-Pornoproduktionen, die in ihrer Marktlücke ohne Kondom arbeiten, von schwulen Pornopreisverleihungen, die glamourös inszeniert sind, oder von Darstellern, die sich mit Drogen – Metamphetamin vor allem – ruinieren.

Zwanglos gleitet der Film vom irgendwie Utopischen zum Traurigen, ohne dass man dabei den Eindruck hätte, es ginge Hick um eine abschließende Verdammung oder die anklagende Verkündigung der „wahren“ Verhältnisse im schwulen Pornoleben L. A.s, wenn das Negative sozusagen die letzte halbe Stunde des Films bestimmt: Einer der netten Jungs wurde aus dem Haus, das einem anfangs so sympathisch schien, herausgewählt. Weil er zu oft nein gesagt hatte, weil er nicht noch mit dem oder dem ficken wollte, nachdem er grad eben schon gekommen war. Ein paar Tage bevor er Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung und Krankenversicherung gehabt hätte, wurde ihm vom Publikum gekündigt. Die, die im Haus bleiben, bemühen sich, nun öfter nackt zu sein und überhaupt mehr mit dem Publikum zu chatten. Dabei erzählt einer der Bareback-Produzenten, dass Pornodrehen so ähnlich sei, als würde man ein Schwein schlachten. Alles wird verwendet: die Fotos, die man beim Drehen des Films macht, den Film sowieso, und außerdem können Interessierte via Internet live beim Drehen dabei sein.

Ganz am Ende sieht man einen älteren Daddytyp, dem es Tags zuvor beim Dreh nicht gelungen war zu kommen. Er probiert es noch einmal, sein Partner legt sich in die Sling genannte Fick-Hängematte. Noch einmal wird gefickt, noch einmal sieht man ihn schwitzen beim Wichsen. Es ist richtig harte Arbeit. Es kommt nicht richtig viel. Wie nett war's doch am Anfang des Films, als ein junger Pornoheld erzählte, wie er seinem Filmpartner zum ersten Mal begegnete: „Wir trafen uns. Er blies mir einen. Ich blies ihm einen. Es war super.“ DETLEF KUHLBRODT