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: Laute Stimme der versunkenen Stadt

Mit einem einzigen Interview ist Ray Nagin zu einem weltweiten Medienstar geworden: Als der Bürgermeister von New Orleans in der vergangenen Woche seine wütenden Attacken gegen die US-Regierung und all die Bundesbehörden losließ, die endlich „ihren Arsch hochkriegen“ sollten, da schien seine aufgewühlte Stimme so authentisch, die vielen Flüche so verzeihlich, dass Nagin über Nacht zum Sprachrohr der allein gelassenen in der von den Wassermassen überfluteten Stadt wurde.

Nagin hatte Erfolg: Sein Appell bewirkte tatsächlich, dass binnen kurzer Zeit endlich Hilfe eintraf. Präsident Bush, dem Nagin noch verärgert attestiert hatte, ein Überfliegen der Region in der Air Force One werde der Katastrophe nicht gerecht, und den er wohl auch meinte, als er donnerte, wenn nicht endlich etwas geschehe, würden sich die Schuldigen vor dem Jüngsten Gericht verantworten müssen, besuchte kurz darauf die versunkene Stadt.

Nagin hat New Orleans nicht verlassen, in provisorischen Büros, zunächst in einem Hochhaus, dann im Hyatt Hotel, koordiniert er die Hilfe, spricht mit den Helfern, zeigt sich als Krisenmanager vor Ort, dem seine Leute am Herzen liegen. Er sei der „ideale Führer“ in so einer Lage, lobte vor wenigen Tagen der Polizeichef der Stadt.

Lediglich konservative Blätter in den USA wie die Washington Times, wütend über Nagins Anteil daran, dass Bush an den Pranger gestellt wurde, stellen noch jene Fragen, die dem Bürgermeister eigentlich zutiefst unangenehm sein müssen: Warum hat er erst 24 Stunden vor dem Aufprall des Hurrikans die Evakuierung der Stadt angeordnet und nicht, wie es der Notfallplan der Stadt eigentlich vorsieht, 48 Stunden zuvor? Warum wurden die hunderten von Schulbussen, die nun abgesoffen und nutzlos im Depot stehen, nicht benutzt, um die Menschen ohne eigene Autos aus der Stadt zu schaffen? Hatte womöglich auch die Stadtverwaltung bis zuletzt gehofft, es werde doch nicht so schlimm kommen und die politischen – und wirtschaftlichen – Kosten einer übereilten Evakuierung in der nicht zuletzt vom Tourismus lebenden Stadt gescheut?

Möglich, dass diese Fragen irgendwann wieder auf Ray Nagin einstürmen, wenn es irgendwann darum geht, Kosten abzuwälzen, Verantwortungen zu suchen, Köpfe rollen zu lassen. Vorerst jedoch bleibt der 49-Jährige, der als politischer Quereinsteiger 2002 auf dem demokratischen Ticket zum Bürgermeister gewählt wurde und sich seither vor allem durch Antikorruptionskampagnen bewährt hat, die Stimme des untergegangenen New Orleans. Und wer so einem derzeit widersprechen will, muss sich schon sehr warm anziehen.

BERND PICKERT