Gewisse Nachlässigkeit

Ein neues Buch von Beckett? Nein, ein altes Buch vom späten Beckett. Ein Gedichtband, laut Verlagswerbung „zum ersten Mal angemessen ins Deutsche gebracht“. Jedoch: Pustekuchen!

1981 erschien ein kleiner Band von Samuel Beckett in der Edition Suhrkamp mit dem Titel „Flötentöne“. In diesem Gedichtband fanden sich neben den 36 Vier- bis Zehnzeilern des Autors die Übertragungen des Freundes Elmar Tophoven und des Dichters Karl Krolow. Elmar Tophoven war bis zu seinem Tod am 23. April 1989 neben Wolfgang Hildesheimer, Christian Enzensberger und Erich Franzen der Übersetzer der Werke von Samuel Beckett.

Die „Mirlitonnades“, so der Titel des Originals, entstanden zwischen 1977 und 1978. Diese französischen Knittelverse oder Reimereien, wie Beckett sie bezeichnete, sind Alltagsnotizen, aufgezeichnet in Tanger, Paris oder Stuttgart. Doch auch Lektüreschnipsel wie Voltaires Zeilen über das Erdbeben in Lissabon 1755 oder die düstere Fabel „Der Hase und die Frösche“ von La Fontaine fließen ein. Nun ist dieses Buch erneut unter dem Titel „Trötentöne“ erschienen, neu übertragen von der Suhrkamp-Autorin Barbara Köhler. Da der Suhrkamp Verlag auf seinen Internetseiten die Beckett-Biografie von James Knowlson bei Erscheinen zeitweise mit dem Titel „Samuel Jackson“ beworben hatte, konnte es sich auch hier nur um einen Fehler handeln. Der Titel „Flötentöne“ antizipierte Dichtkunst, Trötentöne allenfalls einen Harlekin.

„Der Titel signalisiert eine gewisse Nachlässigkeit und (durchaus nicht gerechtfertigte) Bedeutungslosigkeit“, schrieb Alfred Simon in seiner Beckett-Monografie. Und James Knowlson konstatierte: „Über der scheinbar leichtgewichtigen Verspieltheit der Form dieser späten ‚poèmes courts‘ sollte man nicht den Ernst, ja die Finsternis (Beckett) der Themen verkennen.“ Für ihn „gewähren sie erschreckende Einsicht in die damalige Verfinsterung seiner privaten Gestimmtheit“.

In einem Brief aus dem Mai 1977 schreibt Beckett: „bei mir endlose Unterbrechungen, endlose Post, keine Arbeitsmöglichkeit. Verschüttgegangen. Sehe keinen Ausweg.“ Einen Brief vom 1. Oktober desselben Jahres an den Schauspieler David Warrilow, der ihn um eine Solonummer gebeten hatte, beginnt er mit den Worten „meine Geburt war mein Tod“. Zu jeder Zeit hätte Beckett auf die Frage nach dem eigenen Befinden kurz innegehalten im gemeinsamen Spaziergang in der Nacht, um dann mit ausdrucksloser Miene zu sagen: „Von Tag zu Tag besser.“

Barbara Köhler ist Samuel Beckett auf formaler Ebene mit ihrer Übertragung nahe gekommen. Hier und da legt sie große Könnerschaft an den Tag. Die wenigen Zeilen des Dichters des Schweigens verdichtet sie, vereinzelt gelingt ihre Übertragung kongenial.

Aber die Bedeutung! Becketts Zettelzeilen sind Stolpersteine, stöbern konnotativ vielfach les- und so kaum übersetzbar in Wortfeldern. Darob Barbara Köhler auch dreimal zwei und einmal gar drei Versionen vorlegt. Dann sind es die Zeilenumbrüche, deren Sinn sich nicht erschließt, und auch der poetische Klang des Originals, der hier auf der Strecke bleibt: nicht der Rede wert. Unter der Überschrift „Kurz nach Beckett“ legt Köhler nach ihren Übertragungen der paar Paarhufer von Beckett nach mit eigenen drei Vierzeilern und einem Dreizeiler, überschrieben als Arbeitsnotizen. Die gab’s 1983 auch schon von Tophoven/Krolow. Mal abgesehen von den eher prosaischen Übertragungen von Elmar Tophoven, so waren und sind die lyrischen Anverwandlungen der Beckett’schen Verse des am 21. Juni 1999 gestorbenen Karl Krolow einzigartig. Die Frage der Notwendigkeit einer Neuübersetzung stellt sich da nicht.

Beckett-Leser (falls es sie gibt) werden dieses Buch zur Kenntnis nehmen. Neue Leser wird der Autor mit dieser Übertragung kaum gewinnen, im Gegensatz zu Frau Köhler. Aber so war das wohl auch gedacht. VOLKER FRICK

Samuel Beckett: „Trötentöne“. Aus dem Französischen von Barbara Köhler. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2005, 91 Seiten, 11,90 Euro