Kein Dienst an der Aufklärung

In seinem letzten Comic hat sich der Anfang des Jahres verstorbene Zeichner Will Eisner mit der Frage nach den Wurzeln des Antisemitismus beschäftigt. „Das Komplott. Die wahre Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion“ arbeitet sich an Fakten und Fußnoten ab, ohne überzeugende Bilder zu finden

VON MARTIN ZEYN

Was ist Antisemitismus? Will Eisner hat sich in seinem neuen Comic eine berühmte Quelle des Judenhasses zum Gegenstand gewählt. Er heißt „Das Komplott. Die wahre Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion“. Der im Januar dieses Jahres verstorbene Altmeister des Genres zeichnet darin die Geschichte der berüchtigten Fälschung nach. 1898 beauftragt der russische Geheimdienst einen gewissen Matwej Golowinski, ein Dokument zu verfassen, das unterstellt, die Juden würden liberale Reformen nutzen, um an die Weltherrschaft zu gelangen. Golowinski schrieb daraufhin eine anti-napoleonische Kampfschrift von Maurice Joly um, ersetzte den Diktator durch die Juden und deklarierte das Plagiat als Protokoll des ersten zionistischen Kongresses. Er versammelt darin die üblichen antisemitischen Unterstellungen wie Unterwanderung und Finanzmacht. Das hat dieses Buch zu einem Klassiker antisemitischer Hetze gemacht – obwohl schon 1921 ein Artikel in der Times die Fälschung offen legte.

Will Eisner hofft, mit seinem Band ein breites Publikum anzusprechen. Er will das seiner Meinung nach „machtvolle“ Medium Comic einsetzen, um eine der „Waffen“ zu enthüllen, „die immer wieder zum Vorschein kam und sich wiederbelebte wie ein Vampir, um den Antisemitismus zu verbreiten“. Eisner, der mit seinem 1940 entstandenen Detektivcomic Spirit die formalen und inhaltlichen Grenzen des Mediums ausgelotet hat, muss allerdings selbst sein – partielles – Scheitern eingestehen. Am Ende der Erzählung stehen Anmerkungen, da „die Form graphic novel Fußnoten nicht wirklich zulässt“. Aber nicht nur hier konnte Eisner seinen Anspruch auf genaue Recherche nicht in Form der Comicseite verwirklichen. Die Kapitel werden durch textliche Einordnungen eingeleitet, die leider oft vergröbern, manchmal schlicht falsch sind: „Der Reichstagsbrand, den die Anhänger Adolf Hitlers anzettelten, brachte ihn in Deutschland an die Macht.“ Nicht nur hier hätte man sich ein genaueres Lektorat gewünscht.

Art Spiegelman hat in „MAUS“ die extremen Schwierigkeiten beim Erzählen der Geschichte seines Vaters, eines Auschwitz-Überlebenden, als zentrales Gestaltungsmotiv inszeniert. Solche Komplexität ist im Comic möglich, im Fall von „MAUS“ macht sie die Glaubwürdigkeit aus. Von dieser Reflexionsstufe ist Eisner weit entfernt, er misstraut der Möglichkeit des Comics, historische Fakten zu übermitteln. Deshalb gibt es die erläuternden Texte, die das leisten sollen, woran er in seinem eigenen Medium scheitert.

Die formalen Unstimmigkeiten weisen jedoch auf einen grundsätzlichen Mangel. Eisner zieht sich auf die Wiedergabe von Fakten zurück, da es ihm nicht gelingt, eine Handlungsstruktur zu entwerfen. Er erzählt nach, ordentlich, ja bieder. Auf die Geschichte der Fälschung folgt die der Aufdeckung und der gegen das Pamphlet angestrengten Gerichtsverfahren bzw. Untersuchungen. Jedes Mal ein neues Personal, jedes Mal am Ende die Hoffnung, nun seien der Hydra endlich alle Köpfe abgeschlagen. 30 langatmige Seiten ohne jede Entwicklung. Die zentrale Frage, worin die alerte Kraft der Hetzschrift liegt, die Antisemiten ein Jahrhundert lang mit einem infernalischen Furor ausgestattet hat, bleibt unbehandelt. Fatal indes, dass Eisner selbst nicht so recht an die Macht der Aufklärung glaubt. In zwei Szenen lässt er Antisemiten behaupten, die These von der Fälschung könne nur von einem Juden stammen.

Das verkehrt zwar die Sache, legt zugleich aber ihren Kern offen: Antisemitismus beruht nicht auf Wahrheit. Darum ist er Aufklärung nicht zugänglich. Eisner hätte es besser wissen müssen. Er selbst hat in seinen frühen Spirit-Episoden den Gehilfen Ebony als tumben Neger gezeichnet. Nach und nach wird aus dieser rassistischen Karikatur ein ironischer Wegbegleiter, der die Dummheiten des weißen Meisters spitz zu kommentieren weiß. Eine Karikatur gebiert ihre eigene Brechung. In Spirit stutzt Eisner außerdem alle Nationalitäten auf Kolportagemaß, das ihnen innewohnende Konstrukt wird damit lächerlich gemacht.

Der Literaturwissenschaftler Michail Bachtin hat einmal am Beispiel von Rabelais nachgewiesen, dass das vitale Lachen, anders als Argumente, Denkblockaden überwinden könne: „Das Lachen befreit nicht nur von der äußeren, sondern vor allem von der inneren Zensur, d. h. der in vielen Jahrhunderten im Menschen erzeugten Angst vor dem Heiligen, dem Verbot, der Vergangenheit und der Macht.“ Für diese innere Zensur, die alles aussondert, was den eigenen Vorurteilen widerspricht, und die zugunsten der Kontingenz der eigenen Anschauungen jedes Gegenargument ausselektiert, hat Will Eisner, Sohn jüdischer Einwanderer, kein Verständnis, also auch kein Bild gefunden. Der Ernst der Sache, des Antisemitismus, scheint ihn bewogen zu haben, die ihm ganz eigenen Möglichkeiten von Ironisierung nicht in Erwägung zu ziehen. Eine vergebene Chance. Denn Aufklärung, die so schwerfällig daherkommt, erreicht keine Rezipienten, ganz gleich in welchem Medium.

Will Eisner: „Das Komplott. Die wahre Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion“. Aus dem Amerikanischen von Jörg Krismann, DVA 2005, 152 Seiten, 19,90 €