Studie in schlechter Laune

Die Schriftsteller und ihr Engagement im Wahlkampf: Die einen machen Werbung für Rot-Grün und rufen dabei die alte Figur vom engagierten Intellektuellen auf, die anderen wollen mit den Niederungen der Politik nichts zu tun haben

VON DIRK KNIPPHALS

Um es nicht vollkommen zu vergessen: Die ganze Sache hatte auch etwas Erfrischendes – zunächst. Selbst wenn man die Beteiligung unseres Nobelpreisträgers sofort unter Wahlkampffolklore abhakte und allein schon beim Wort Engagement vor allem Retrogefühle aufkommen wollten – sie war so kraftvoll und so optimistisch formuliert, die Pressemitteilung, mit der vor vier Wochen deutsche Schriftsteller ankündigten, sich bei der Bundestagswahl fürs rot-grüne Regierungsprojekt in die Bresche zu werfen. Von nun an, haben sie gesagt, wollen sie beherzt „ihre Sicht der Dinge darstellen“ und der Kreis der Unterzeichner ihrer Initiative erweitere sich „täglich“. Das klang so hübsch selbstbewusst!

Nun, diesem Aufruf sind dann zwar einige Podiumsdiskussionen gefolgt – Günter Grass, der Initiator der Sache, trat mit Bundestagspräsident Wolfgang Thierse auf, seine jüngeren Autorenkollegen Eva Menasse und Michael Kumpfmüller luden zusammen mit dem sozialdemokratischen Urgestein Klaus Staeck ins bekannte Berliner Politrestaurant „Ständige Vertretung“ –, dann verebbte der Anfangselan wieder. So zumindest der Blick von außen. Wenn man in diesen Tagen mal bilanziert, was aus den Ankündigungen der Schriftsteller eigentlich wurde, gilt es zunächst festzustellen: An den politischen Debatten sind sie sowieso abgeprallt. Nicht nur dominieren die politischen MatadorInnen unangefochten diese Schlussphase der Vorwahlzeit. Darüber hinaus generierte dieser kurze, heftige Wahlkampf seine Themen selbst. Paul Kirchhof trat auf und ging wieder unter. Der Wird-es-mit-Angie-wirklich-so-schlimm-Debatte folgte die Große-Koalition-Diskussion, nun gibt’s auch noch Ampel-Fragen. Und die Schriftsteller spielen bei alledem keine Rolle – was im Ernst auch niemanden verwundert.

Hinter den Kulissen aber, parallel zum politischen Kampfgetöse, mäandert derzeit, angestoßen von der Autoren-Initiative, eine kleine Grundsatzdebatte durch die Literaturszene. Sie behandelt die Frage, ob Schriftsteller überhaupt beim Wahlkampf mittun sollen, und wird, das ist das Interessante daran, bemerkenswert beleidigt vorgetragen.

Platt formuliert: Die Beteiligten der Grass-Initiative haben gehörig eins auf die Mütze bekommen. Während bildende Künstler und Filmemacher derzeit breit ihre Solidarität mit Rot-Grün erklären, gibt es in der schreibenden Zunft Streit untereinander. Das ist derzeit nicht nur großes Literaturbetriebsthema. Das wird auch aus einer Polemik deutlich, mit der sich Eva Menasse in der SZ für ihr Engagement rechtfertigte. Darin berichtet die 1970 in Wien geborene, in Berlin lebende Schriftstellerin von „dutzendfachem jungfräulichem Gekreisch“, das Grass für seinen Aufruf geerntet habe. Die meisten mit der Datei „Unterschreiben!.doc“ angemailten Autoren wollten ihre Unterschrift dann eben doch nicht unter die Solidaritätserklärung setzen. Für Eva Menasse ein klarer Fall von „Opportunismus“ und „leider nur ein Symptom des ganzen traurigen Zustands“. „Deutschland“, so Eva Menasses zusammenfassender Großseufzer, „ist müde, so müde, dass es nur mehr jammern kann und sich fürchten. Keiner kann sich zu irgendetwas aufraffen, und die wenigen, die es noch können, sind daher äußerst verdächtig.“

Hm. Sind die Autoren, die nicht unterschrieben haben, feige und depressiv? Diesen Vorwurf will Tanja Dückers nicht auf sich sitzen lassen. Ebenfalls in der SZ gab die 37-jährige Autorin missmutig Widerspruch zu Protokoll und formulierte dabei Argumente, die innerhalb der Szene kursieren. Tanja Dückers schrieb: Unter politischem Engagement verstehe sie etwas anderes, als Parteien zu folgen, die „biedere Realpolitik“ verkörperten. Stattdessen fordert sie ein „utopistisches Moment“: „Wenn Literatur sich mit Politik beschäftigt, sollte sie nicht den Status quo bestätigen, sondern den schlechten Ist-Zustand mit dem vergleichen, was möglich wäre.“ Inspiriert ist diese Verachtung des Realpolitischen möglicherweise von einem Artikel Monika Marons, in der FAZ hatte die Schriftstellerin Wahlkampf überhaupt als „Dummheitsverschwörung“ und „Signal zur endgültigen freiwilligen Verblödung“ bezeichnet.

Starke Worte auf beiden Seiten also – und es überrascht wohl kaum, wenn man die Initiative hiermit erst mal als gescheitert erklärt. Eine Podiumsdiskussion mit Michael Kumpfmüller morgen Abend in Berlin steht zwar noch aus, aber auch sie wird die Figur des politisch engagierten Schriftstellers schwerlich reanimieren. Interessant sind aber die Gründe dieses Scheiterns. Offensichtlich haben sie wenig mit Politik zu tun und viel mit dem Selbstverständnis von Schriftstellern. Wenn diese irgendwie in Gestalt und Form eines Familienstreits daherkommende Debatte etwas zeigt, dann, wie schnell die Aufforderung an Autoren, sich politisch einzumischen, Klischees aufrufen, an denen man nicht vorbeikommt.

Opportunisten – unkritische Regierungsfreunde – Utopisten im Elfenbeinturm – verblödete Realpolitiker – Drückeberger: Die Rollen sind sofort festgelegt, auch wenn keinem seine Kostüme so richtig passen wollen. Wie in Textbausteinen liegen die Versatzstücke bereit, die man sich gegenseitig an den Kopf werfen kann. Mag das tun, wer will; es macht wenig Spaß, da mitzumischen. Zu notieren ist, dass die Unterzeichner der rot-grünen Initiative sich in eine Pariaposition hineinmanövriert sehen und in der Art narzisstisch Gekränkter alle diejenigen abwerten, die ihnen die kalte Schulter zeigten. Und auf der Gegenseite hält man sich am Bild des über den Dingen stehenden Schriftstellers fest, der sich auf konkrete Politik gar nicht einlassen darf. So schnell kann eine konkrete Initiative auf die Metaebene abdriften.

Was bleibt? Als Anschlussfragen ließen sich verfolgen, ob die an der Initiative beteiligten Schriftsteller nicht Allmachtsfantasien über ihre Bedeutung im politischen Prozess aufsaßen; ob die Schriftsteller, die sich verweigerten, schlicht dem hegemonialen Gebaren von Günter Grass entkommen wollten; und ob dem ganzen Vorgang nicht so oder so ein Moment von überkommenem Dichter-und-Denker-Anspruch innewohnt – wer sagt denn, dass Schriftsteller-Statements zu Wahlen von sich aus interessanter sind als, zum Beispiel, Ingenieurs-Statements? Ihre Meinung allerdings können alle sagen, auch Schriftsteller.

Was sich aber wirklich festzuhalten und zu bedenken lohnt, das ist – auch wenn es ein bisschen komisch klingt – die in diesem Streit akkumulierte schlechte Laune. Sie zeigt tatsächlich etwas. Zum einen hebt sie sich entschieden ab von der Rührigkeit und Gutgelauntheit, die Gerhard Schröder in den vergangenen Wochen an den Tag legte. Das gute, alte Bohren harter Bretter, der ebenso gute, alte lange Atem – das beides haben die engagierten Autoren wohl vergessen, als sie die Initiative unterschrieben. Wie immer man zu ihnen steht: Falls sie bei der nächsten Wahl wieder politisch mitmischen wollen, sollten sie nicht noch einmal erwarten, ohne jeglichen Widerstand und unter allgemeinem Gejubel bis zum Wahlsieg getragen zu werden. Diesmal haben sie es offenbar getan.

Schon das zeugt von einem fast rührenden Abstand zum politischen Prozess. Noch größer ist dieser Abstand bei den Ablehnern der Initiative. Sie argumentieren nicht, was ja nachzuvollziehen wäre, mit einer Infragestellung des Sinns so einer Solikampagne. Sondern mit einer Herabsetzung der Realpolitik überhaupt. Entweder sind sie wie Tanja Dückers der Komplexitätszumutung nicht gewachsen, zwischen sich als Bürger und sich als Schriftsteller Rollendifferenzierungen zu akzeptieren. Oder sie begreifen wie Monika Maron das Politische gleich als Zumutung. Vor allem Letzteres kann nun auch beim unbeteiligten Beobachter dieses Streits schlechte Laune verursachen: Manche der Ablehner tragen ihre Nase ganz schön hoch.

Ach, fast vergessen: Irgendwann fand sich allerdings auch eine Schriftstellerin, die die Solidarität für Rot-Grün aus handfesteren Gründen ablehnte. In der Zeitung Die Welt hat sich die Krimiautorin Thea Dorn als Sympathisantin von Angela Merkel geoutet. Schon lustig: Mit so etwas hatte man irgendwie gar nicht gerechnet.