Wen die Wildnis ruft

Ziegen, Dornen, Blutsuppe: Hermine Huntgeburth hat „Die weiße Massai“ verfilmt, den Bestseller von Corinne Hofmann. Afrika erscheint im Film prämodern, und Kommunikation zwischen Europäern und Afrikanern ist nicht vorgesehen

VON ANNETTE WEBER

Carola, die Schweizerin, ist mit ihrem Freund Stefan auf Urlaub in Kenias Küstenstadt Mombasa. Alles bunt, ziemlich viele Leute, ganz schön schlimmes Durcheinander. Nicht mal auf die Straßendealer kann man sich verlassen. Das liegt daran, dass die zwar aus Kenia sind, aber keinem stolzen Stamm angehören. Ganz anders die Samburu, die man da auf der Fähre erblickt hat.

Lemalian und seine Samburu-Kumpels, stilecht angetan mit roten Massai-Wickelröcken, gekreuzten Perlenschnüren über der Brust und Speeren in den Händen, führen die beiden Schweizer vom Dunkel ins Licht, vom wuseligen, finsteren Busbahnhof ins Ferienhotel. Doch da macht sich der erste Bruch auf. Die kenianischen Hotelguards lassen die Jungs nicht rein, und Carola wird klar, dass sie hier einen rough ride ins Schicksal gebucht hat.

Dem Stefan passt das alles gar nicht, die erste Eifersuchtsszene – die letztendlich den Anlass für die drei autobiografischen Werke der Corinne Hofmann geben wird (hin nach Afrika, weg von Afrika, Besuch in Afrika) – wird uns noch als kulturell immanente, nachvollziehbare Reaktion Stefans auf das Rumgetanze seiner Freundin mit dem Mann im Rock serviert. In den folgenden zwei Stunden allerdings müssen wir uns dann mit der Eifersucht als zentralem Element der kulturellen Andersartigkeit von Lemalian auseinander setzen. Einer absurden Andersartigkeit, die sich sogar das Fremdgehen mit einem Priester vorstellen kann: how uncivilised. Erst mal aber nimmt das Schicksal seinen Lauf, denn hey, wenn das nicht Schicksal ist, dass eine schlicht der Anblick eines durchtrainierten Massai-Oberkörpers zum völligen Lebenswandel bringt, was dann?

Carola (Nina Hoss) tritt den Weg zu ihrer zweiten Inkarnation an, trifft auf Elisabeth (Katja Flint) eine andere Weiße, die fortan zu einer Art warnendem Alter Ego wird. Elisabeth ist ebenfalls dem call of the wild gefolgt und hat sich mit ihrem Malindi-Lover in einer kenianischen Kleinstadt niedergelassen. Hier lässt sie sich von ihrem Mann schlecht behandeln, säuft sich den Frust weg und erklärt alles, was um sie herum geschieht, mit dem Geworfen-Sein ins Andere: „Hier kommen die Frauen gleich nach den Ziegen“ – „Hier leben Frauen nicht mit den Männern zusammen“ – „So was wie Liebe gibt es nicht“ – „Beim Sex gibt es in Afrika keine Berührung“. Man fragt sich, ob Elisabeth wegen der billigen Spritpreise bleibt.

Interessanterweise spart der Film hier aus, was an Kenias Küsten zu beobachten ist: ein blühender Sextourismus, der vor allem europäische Frauen bedient. Will uns „Die weiße Massai“ vielleicht sagen, dass Frauen gar nicht zum Sextourismus fähig sind, weil es bei ihnen immer um Liebe geht?

Irgendwann landet Carola in den steppigen Weiten Nord-Kenias, in Barsaloi, der Hüttenansammlung, in der Lemalian (Jacky Ido) zu Hause ist. Nur Ziegen, Dornen, bunte Menschen und verräucherte Hütten. Waschen kann man sich nicht vor allen, Essen kann man die Fleisch-, Milch- und Blutnahrung der Samburu nicht nennen: Hier muss schnellstens etwas geschehen. Carola im Einsatz, endlich hat sie eine Aufgabe, etwas, das wichtiger ist als die Boutique zu Hause in der Schweiz. Vom komplexen Gemeinschaftssystem, den Altersgruppen, Kommunikationswegen, gesellschaftlichen Riten und Tabus der Samburu erfahren wir nichts. Die weiße Massai hat kein Interesse an all den primitiven unverständlichen Massai-Dingen. Ihre Mission ist die Liebe, ihr Motor die Leidenschaft, und was sie nicht versteht, versucht sie eben zu verändern.

Erst wird dem Mann die Romantik beigebracht, und als er das gut gelernt hat, dürfen wir eine Viertelstunde schwarze Haut auf weißer Haut und umgekehrt ansehen, bis zum Orgasmus-Crescendo, aus dem die Kinder sind.

Jetzt, wo der Mann alles richtig macht, nimmt Carola uns mit in die Schweiz. Hier will sie, wenn schon nicht den Segen, dann wenigstens das Geld der Familie einsammeln, das ihr dort in Afrika die Unabhängigkeit garantiert. Da sitzen wir mit ihr im Buddenbrook’schen Bürgergrab. Schwere Möbel, gedämpftes Licht, ketterauchende Mutter beim Essen, belanglose Gespräche über Torten und Güsse. Hier, das wird uns beim klaustrophoben Zusehen gleich klar, hier passt Carola nicht mehr hin. Sie muss zurück in die Größe, die Weite, die Sonne, die unendliche Aussicht. In Barsaloi hat Carola größtmögliche Gestaltungsmacht, da sie sich, anders als in der Schweiz, nicht mit der Gesellschaftsordnung auseinander setzen muss. Dass sie dazu nur noch die Bevölkerung vor Ort zurechtzubiegen hat, das wird ihr mit der Reisetasche voll mit guter Absicht, humanistischen Gedanken und Schweizer Geld doch wohl gelingen.

Vom Alltag in Barsaloi bekommt man nicht viel zu sehn, zwischenzeitliche Highlights hingegen erklären uns, dass es sich doch um primitive und unzivilisierte Menschen handelt: die Mädchen werden beschnitten, warmes Blut aus der Halsschlagader des Schlachtviehs getrunken und einer Frau, die in den Wehen liegt, wird nicht geholfen, weil sie von der Gemeinschaft ausgestoßen ist. Dann gibt es noch Korruption und Bürokratie, die von Carola verlangt, dass sie sich an ihrem Wohnort anzumelden hat. Im Film wird dies als willkürliches Ansinnen eines korrupten kenianischen Beamten dargestellt. Da wünscht man sich doch gleich, dass Lemalian ein Gegenbuch schriebe: wie er als Afrikaner in der Schweiz ohne jegliche bürokratische Komplikation kommen und gehen kann.

Ansonsten behandelt Hermine Huntgeburths Verfilmung das Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Und das ist so ganz anders, als wir es hier kennen: Man darf seinen Mann nicht in der Öffentlichkeit anschreien, wenn er Auto fahren will, ohne es zu können, sollte man ihn nicht aufhalten, man darf ihn nicht stören, wenn er mit seinen Kumpels rumhängt. Sorry, aber im Vergleich zu, sagen wir: Berlin-Neukölln erscheinen diese Stereotype nun beim besten Willen nicht seltsam und kulturell andersartig.

In „Die weiße Massai“ ist Afrika ein Ort der Nichtkommunikation. Carola erlebt und interpretiert mit ihren bekannten Mustern, ihr Handlungsrahmen ist demnach auf schweigendes Aushalten oder revoltierendes Ablehnen begrenzt. Etwas auszuhandeln, zu palavern, Übereinkünfte zu finden, sich anzunähern, ist in diesem Film nicht vorgesehen. Es gilt das normative Sprechen der Europäer, das „Andere“ ist unveränderbar, stoisch, prämodern, und so kann man sich letztendlich nur entscheiden, dazubleiben oder wegzugehen.

„Die weiße Massai“, Regie: Hermine Huntgeburth. Mit Nina Hoss, Jacky Ido u. a., Deutschland 2004, 131 Min.