„Ich bin kein Kumpel“

Thomas Doll über ein Wetterphänomen, die besondere Rolle von Außenverteidigern und sein Selbstverständnis als Trainer des Hamburger SV

INTERVIEW MARKUS VÖLKER

taz: Herr Doll, der Vorstand des HSV hat ein recht ausdauerndes Hoch über dem Hamburger Fußball ausgemacht. Sehen Sie das ähnlich?

Thomas Doll: Wir sind zufrieden im Moment. Das Umfeld stimmt. Vor einem Jahr herrschte ja noch große Ernüchterung, nach einem ganz schlechten Saisonstart. Sehr viel war negativ. Aber trotzdem waren wir schon damals auf dem richtigen Weg – mit Spielerverpflichtungen, mit dem neuen Trainingszentrum. Nur jetzt kommt halt etwas heraus in der Arbeit.

Von einem urplötzlichen Wetterumschwung kann also keine Rede sein?

Nein, der hat sich nach und nach vollzogen. Die Mannschaft hat sich jetzt gefunden. Aber wir wollen den nächsten Schritt tun. Derzeit scheint die Sonne über Hamburg, ganz klar.

Wie haben Sie es geschafft, dass der HSV wieder Stadtgespräch ist?

Entscheidend ist das Fundament. Dazu gehört die Auswahl der richtigen Spieler. Das muss passen von der Qualität her, vom Charakter, dem Alter. Unser Scouting-System ist dabei ganz wichtig gewesen. Wenn man diese Hausaufgaben macht, dann lässt sich etwas bewegen. Wir machen ja nichts wahllos, nichts unüberlegt. Wir haben uns frühzeitig die Strategie zurechtgelegt, wie man Fußball spielt und welche Spieler für dieses System geholt werden.

Zum Beispiel?

Weil Spiele oft über Standards entschieden werden, wollten wir den einen oder anderen Großen ins Team einbauen – so wie Werder Bremen das seit Jahren praktiziert. Aber erst wenn mehrere Mosaiksteine ineinander passen, darf man hoffen, dass ein schönes Bild entsteht.

Welche Teile haben Sie noch zusammengefügt?

Wenn wir Spieler suchen, dann oftmals Allrounder, Profis, die auf zwei, drei Positionen spielen können. Guy Demel ist das beste Beispiel. Er wurde als defensiver Mittelfeldspieler geholt, kann aber auch Innenverteidigung spielen – oder wie zuletzt auf der rechten Seite in der Defensive. Solche universell einsetzbaren Spieler sind im modernen Fußball enorm wichtig.

Gilt das auch für Thimothee Atouba, den neuen Liebling der Fans, der auch auf Außen agiert?

Wir haben ihn lange beobachtet. Wir sind ja auch in England aktiv. Linksverteidiger – das ist eine ganz schwierige Position. Die ganze Bundesliga ist am Schauen nach guten Linksverteidigern. Jürgen Klinsmann ja auch. Und der FC Bayern würde nicht einen Bixente Lizerazu zurückholen, wenn es auf dieser Position nicht großen Bedarf geben würde.

Die Bedeutung der Außenverteidiger steigt, warum?

Im Zentrum ist es oft sehr eng. Es wird Pressing gespielt. Es wird ballorientiert verschoben. Da ist es wichtig, mit Tempo in den freien Raum zu stoßen. Darüber hinaus müssen Eins-zu-eins-Situationen entschieden werden. Und bei hohen Flanken braucht man große Leute, die einen Jan Koller ausschalten können beim Kopfball, und das, obwohl der Verteidiger nur aus dem Stand springt, der Angreifer aber meist mit Anlauf köpfen kann. Da sind starke Außenverteidiger von großer Bedeutung.

Sind das nicht zu viele Anforderungen auf einmal für einen Außenverteidiger?

Er muss ja nicht 15-mal pro Halbzeit im Angriff Flanken schlagen. Das verlange ich nicht. Er muss sich aber zum richtigen Zeitpunkt einschalten. Er darf im Spiel aber auch mal Ruhe suchen. Für mich ist ein Abwehrspieler in erster Linie dafür da, dass wir zu null spielen. Wenn wir den Ball dann haben, muss er das Spiel breit machen und anspielbereit sein. Das heißt, er muss sehr ballsicher sein, kernig, ein sauberes Passspiel haben, vor allem mit dem Innenrist. Und dann kann er auch mal seine 80 Meter sprinten – mehr sind es ja nicht.

Warum gibt es so wenig gute Außenverteidiger?

Das liegt wohl an der Ausbildung. Jeder Junge will im Mittelfeld spielen, im Sturm. Es gibt wenige komplette Spieler. Einige haben es offensiv drauf, schwächeln aber in der Defensive. Und umgekehrt. Jemanden zu finden, der beides gleich gut kann, ist total schwierig. Wenn ein Außenverteidiger das nicht perfekt kann, dann stelle ich den lieber links ins Mittelfeld. Denn hinten steht die letzte Reihe, und da geht’s permanent ab.

Sie bevorzugen also den Allrounder, der auf mehreren Positionen spielen kann und der Offensive und Defensive verbindet?

Heutzutage sind die Kader nicht mehr 28 Mann groß. Und außerdem ist es auch für den Spieler selbst gut, wenn er sich nicht nur auf einer Position anbietet.

Haben die Profis dadurch auch mehr Spaß am Beruf?

Nein, eigentlich nicht. Für einen Spieler ist es wichtig, dass er seine Position hat. Dass er nicht dahin muss, wo gerade einer fehlt. Das gefällt keinem, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Die Flexibilität hat ihre Grenzen.

Es heißt, dass Sie zusammen mit Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer ihr Wunschteam mit „rabiater Konsequenz“ geformt hätten!?

Das ist ein bisschen übertrieben. Ich diktiere nicht, nach dem Motto: Den oder den Spieler will ich haben. Wir tauschen uns aus. Und wir haben uns überlegt, auf welchen Positionen wir etwas machen müssen. Klar, letztendlich haben wir das Ding schon konsequent durchgezogen. Es sind aber viele Leute im Boot, die mitentscheiden, ob eine Verpflichtung über die Bühne geht oder nicht. Es gab in Hamburg lange Zeit Trainer, die ihre Wunschvorstellungen geäußert haben und alles wurde umgesetzt – vier Wochen später war der Trainer dann weg, die Spieler aber nicht. Der Verein hat in den letzten Jahren sehr viel fürs Personal ausgegeben, hat aber nicht auf internationaler Ebene Fußball gespielt. Es ist an der Zeit, etwas zurückzugeben.

Zuletzt wurden 20 Millionen Euro in Neue investiert.

Da stehen natürlich 7,5 Millionen Einnahmen aus dem Verkauf von Tomas Ujfalusi dagegen.

Aber die Ansprüche an den Verein sind groß!

Klar, aber das ist eine Riesenherausforderung. Wir dürfen nicht locker lassen und gar nicht erst denken, es könnte auch mal wieder andere Zeiten kommen. Die schlechten Zeiten kommen schon von ganz alleine.

Die Spieler sagen unisono, es wehe ein anderer Wind, Sachen würden anders angepackt als früher.

Ich weiß nicht, was für ein Wind vorher geweht hat. Man ist zufrieden, wenn man ein bisschen erfolgreich ist.

Hamburg ist eine Stadt, die mehr verdient als einen sechsten bis achten Platz – das ist der von Ihnen formulierte Anspruch.

Ja, aber das sagen die in Leverkusen und Dortmund auch.

Die Tradition verpflichtet zusätzlich.

Das Gerede, wir wollen zurück zu diesen Zeiten, das ist alles Blabla, denn das liegt über 20 Jahre zurück. Wir brauchen doch gar nicht so weit zurückgehen. Vor ein paar Jahren hat Juventus Turin hier in der Champions League gespielt. Was da los war! Das muss ein Ziel sein für uns. Dass HSV-Fans mit geschwollener Brust aus Europa zurückfliegen. Dass sie nach einem Fußballwochenende am Montag zufrieden zur Arbeit gehen und man sieht, dass andere dem HSV wieder mit Respekt gegenübertreten.

Haben Sie das schon geschafft?

Der HSV ist gerade dabei, sich Respekt zu erarbeiten. Der HSV darf nicht mehr als Punktelieferant angesehen werden. Wir müssen das Samariterdenken ablegen. Der HSV ist nicht dazu da, gegnerische Stürmer aufzubauen. Wir müssen ohne Arroganz sagen: Die AOL-Arena ist unser Wohnzimmer, und hier können wir jeden schlagen. Dieses Selbstbewusstsein brauchen wir.

Was heißt das konkret?

Wir wollen nicht, dass man mit dem Finger auf uns zeigt und sich lustig macht und dass Sprüche geklopft werden, so in der Art: Ja, früher, da war das viel schwerer, beim HSV zu gewinnen, da haben die die Eisenstangen rausgeholt, also die 18er-Aluminiumstollen, und dann ist hier der Platz umgewühlt worden und der Gegner hat schon unten im Kabinentrakt gezittert. Die Mannschaften müssen sich unwohl fühlen, wenn sie nach Hamburg fahren. Hier regnet es, hier stürmt es, hier ist nicht Schönwetter. In keiner Beziehung.

Sie wollen dem Klub den Stolz zurückgeben?

Dafür sind letztlich die Spieler zuständig. Sie müssen sich den Respekt zurückholen. So ein Wert ist viel höher einzustufen als jedes Geld der Welt. Hier muss richtig was abgehen. Aber noch haben wir gar nichts erreicht. Wir wissen, dass wir einen weiten Weg vor uns haben.

Sie wollen in die Champions League.

Ich hätte nichts dagegen. Aber wir lassen uns nicht unter Druck setzen. Unser Ziel ist es, in den internationalen Fußball zu kommen. Das heißt Platz fünf. Das haben wir uns auf die Fahnen geschrieben.

Franz Beckenbauer sieht den Hamburger Sport-Verein allerdings weiter vorn in diesem Jahr.

Der Kaiser sieht das so positiv, weil er auch seine Zeit hatte in Hamburg, na klar.

Wie schwer ist Ihnen der Schritt auf den Posten des Cheftrainers gefallen?

Ich hatte das Glück, dass ich den Verein sehr gut kannte, das Umfeld, die Mannschaft. Ich habe ein tolles Team um mich herum, mit denen ich über alles sprechen kann, nicht nur sportlich. Es ist schön, wenn man sich auch mal fallen lassen kann. Wenn man mit der Aufgabe wachsen kann, dass man von Tag zu Tag dazulernt. Für mich war vieles neu, obwohl ich 18 Jahre lang Fußballprofi gewesen bin. Ich konnte mich jedoch in den ersten Monaten voll auf meinen Job konzentrieren, von morgens bis abends habe ich nur nachgedacht: Wie können wir erfolgreich Fußball spielen?

Wie haben Sie sich Autorität gegenüber der Mannschaft verschafft?

Ich hänge das gar nicht so hoch – Autorität. Mich dürfen die Spieler duzen. Aber damit ist kein Verlust an Autorität verbunden. So wie ich mit ihnen umgehe, möchte ich, dass sie mich behandeln. Man wird auf dem Trainingsplatz nicht hören, dass ein Spieler laut „Dolli“ ruft. Entscheidend ist, dass man glaubwürdig ist, eine klare Linie hat. Trotzdem kann ich auf meine Spieler locker zugehen, einen Spruch machen.

Dick Advocaat hat bei seinem Einstand in Mönchengladbach gesagt, mit Fußballern müsse man reden wie mit Kindern.

Ich war ja auch Jugendtrainer und habe die Jungs mit mir verglichen, als ich 17 war. Das ist ein Unterschied. Die hinterfragen kritisch, sind viel selbstbewusster. Wir sind im Zeitalter der Kommunikation, da kannste nicht den alten Stil fahren. Die wollen Rückmeldungen haben, die sind wissbegierig, die wollen wissen, was sie falsch gemacht haben, warum sie nicht spielen. Das hat sich früher bei uns nie jemand getraut. Der Trainer muss die Jungs mit ins Boot nehmen, denn sie sind die Hauptdarsteller. Andersrum müssen natürlich Regeln her, Ordnung, Disziplin. Wenn ich ein tolles System spielen will, dann braucht man Regeln: vor allem Respekt und Professionalität.

Dominanz alten Schlages zieht heutzutage nicht mehr?

Es ist nicht meine Art. Wenn ich beispielsweise kritisiere, dann immer nur den Sportler, nicht den Menschen. Das ist wichtig. Wenn ein Spieler in der 89. Minute einen Fehler gemacht hat, und wir kassieren ein Tor, dann ist ihm halt ein Patzer unterlaufen, okay, aber deswegen ist er doch noch lange kein Punkt-Punkt-Punkt.

Sind Sie der Kumpel der Spieler?

Ich bin Trainer, kein Kumpel. „Paule“ Beinlich ist mein Nachbar. Aber seit ich Coach bin, habe ich nicht mit ihm zusammengesessen. Ich muss auch eine gewisse Grenze setzen. Ich bin kein Kumpel mit irgendwem. Und das will ich auch gar nicht sein, um Gottes willen.