Merkel ist politisch gescheitert
: KOMMENTAR VON BETTINA GAUS

Angela Merkel hat eine herbe Niederlage erlitten. Die Bäume, die sie gepflanzt hatte, schienen in den Himmel zu wachsen – nun wurden sie auf Buschhöhe beschnitten. Vielleicht wird Merkel trotzdem Kanzlerin. Aber dann unter ganz anderen Voraussetzungen als von ihr gewünscht. „Durchregieren“ kann sie jedenfalls nicht.

Für ein schwarz-gelbes Bündnis dürfte es nicht reichen. Was bleibt? Eine große Koalition, eine Minderheitsregierung oder eine Ampel, deren neuer Chef der alte wäre: Gerhard Schröder, der unbedingt im Amt bleiben will. Die gelbe Birne dieser Lichtanlage will allerdings partout nicht leuchten. Lustig wird es, wenn die Union jetzt – Jamaika! Jamaika!! – nicht nur mit der FDP, sondern auch mit den Grünen reden möchte. Wo doch angeblich die Gegensätze zwischen Grün und Gelb unüberbrückbar sind.

Was immer herauskommt: Die Macht wird nicht im Kanzleramt gebündelt werden. Die Stellung des Bundesrates und auch des Parlaments ist stärker als zuvor. Schröder, Merkel oder ein Überraschungskandidat: Alle müssen künftig noch mehr Rücksicht nehmen. Auf Parteifreunde und auf Gegner. Rückenwind haben vor allem die internen Rivalen der CDU-Vorsitzenden, Ministerpräsidenten und andere. Verloren hat sie übrigens nicht deshalb, weil sie eine ostdeutsche Frau ist. Das war bereits bekannt, als Angela Merkel noch ein strahlender Sieg prophezeit wurde. Ihre Niederlage hat politische Gründe. Nicht emotionale.

Die Kandidatin erweckte den Eindruck, einen Systemwechsel herbeiführen zu wollen. Weg vom rheinischen Kapitalismus, hin zum Nachtwächterstaat und zur Privatisierung der großen Lebensrisiken. Was sie übersah: der rheinische Kapitalismus ist keine sozialistische Erfindung.

Offenbar gibt es einen gesellschaftlichen Konsens, das faktisch bestehende Recht des Stärkeren nicht auch noch ideologisch untermauert sehen zu wollen. Die meisten Anhänger der Union wünschen keinen Manchester-Kapitalismus. Der Erfolg der neoliberalen FDP steht dazu nicht im Widerspruch. Dieser Partei wird die Rolle des Korrektivs zugeschrieben, nicht die der Revolutionärin. Das würde in Jamaika ebenso gelten wie vor einer Ampel.