Parlamentswahl von Gewalt begleitet

22 Menschen kommen am Wahlwochenende in Afghanistan ums Leben. Angst vor Verstümmelungen durch die Taliban hält viele WählerInnen davon ab, ihre Stimme abzugeben. Ergebnisse sind frühestens in knapp vier Wochen zu erwarten

VON BERNARD IMHASLY

Er sei angenehm überrascht über das niedrige Niveau von Zwischenfällen, erklärte UN-Wahlchef Peter Erben über den Verlauf der Parlamentswahl in Afghanistan gestern. Das war Schönfärberei: In 9 der 34 Provinzen gab es am Wahlsonntag Zwischenfälle mit Anschlagsversuchen auf Kandidaten, Wahllokale und Soldaten. Bislang kamen am Wahlwochenende 22 Menschen ums Leben.

Unweit des Medienzentrums von Kabul, in dem Erben seinen Optimismus verbreitete, hatten kurz zuvor zwei Raketen eine Unicef-Lagerhalle getroffen. In der Provinz Khost starben 5 Menschen bei einem Gefecht zwischen mutmaßlichen Taliban und der Polizei. Ebenfalls im Osten des Landes wurden Granaten auf das Haus eines Kandidaten geworfen, ein Wahlhelfer wurde beschossen. Im Süden fuhr das Fahrzeug einer französischen Patrouille über eine Mine, die einen Soldaten tötete.

12,4 Millionen Afghanen waren gestern aufgerufen, die 249 Mitglieder der Volksversammlung und 420 Provinzräte zu wählen. Präsident Hamid Karsai gab als einer der Ersten in Kabul seine Stimme ab. „Nach 30 Jahren Krieg ist dies der Tag der Selbstbestimmung für das afghanische Volk“, erklärte er mit Blick darauf, dass diese Wahl den vierjährigen Übergangsprozess seit der Konferenz auf dem Bonner Petersberg beschließt. Für die Afghanen war es nach der Präsidentenwahl vom Oktober 2004 der zweite Urnengang binnen Jahresfrist, nachdem sie 33 Jahre lang nicht wählen durften.

Vor einigen Wahllokalen in Kabul bildeten sich gestern Schlangen, während sich vor anderen auch Stunden nach Wahlbeginn nur eine Hand voll Wähler – und noch weniger Wählerinnen – einfanden. Dabei hatten die nahezu 600 Kandidatinnen eine intensive Wahlkampagne geführt. Doch in den letzten Tagen war das Gerücht aufgekommen, die Taliban würden „blaue Finger abhacken“. Dies mag viele Frauen von der Stimmabgabe abgehalten haben, da die Tinte auf der Zeigefingerspitze – als Zeichen der Stimmabgabe – sich wochenlang nicht abwaschen lässt. Voriges Jahr lag die Wahlbeteiligung bei 55 Prozent. Erste Berichte aus den Provinzen deuten darauf hin, dass die Beteiligung diesmal niedriger ausfällt.

Die endgültigen Resultate werden erst in etwa einem Monat bekannt gegeben. Zunächst müssen die Stimmen – manchmal auf Eselsrücken oder Kamelen – aus den riesigen Wahlbezirken in die regionalen Zählzentren gebracht werden. Dort erfolgt ein mühsamer Sortier- und Zählprozess, den Klagen gegen die Wahlkommission noch in die Länge ziehen könnten.

Einige Beobachter erwarten, dass frühere Mudschaheddin gute Chancen haben, gewählt zu werden. Sie verfügen über Geld und Einschüchterungsmittel. Andere verweisen auf das Wahlsystem ohne Parteilisten und räumen jenen Kandidaten-Allianzen höhere Chancen ein, die ihre Anwärter auf mehrere Provinzen verteilt haben. Dies könnte linken Kandidaten nach 15 Jahren im Untergrund ein Comeback bescheren.