„Getrauert habe ich genug“

Killa Hakan

Ende der 90er Jahre war er Mitglied der HipHop-Crew „Islamic Force“, Anfang der 90er war er bei der legendären Kreuzberger Gang „36-Boys“. Insgesamt saß er drei Jahre in Haft. Killa Hakan (33) ist ein Mensch, der über den Kodex in der türkischen Hood berichten kann, der den Gedanken des „Wir Türken brauchen Rap“ wirklich lebt und der mit seiner aktuellen CD „Semt semt Sokak“ einer der ersten ist, die auch am Bosporus Erfolge feiern. Als seine Heimat gibt der Deutsch-Türke nicht Berlin an, sondern Kreuzberg. Und eigentlich ist auch das noch zu groß. Denn heimisch ist er nur am Kottbusser Tor.

INTERVIEW FELIX LEE

taz: Hakan, besitzen Sie eine Knarre?

Killa Hakan: Jetzt nicht mehr. Aber während meiner Gangzeiten – natürlich. Da war das ganz normal.

Der Name Killa hat also nichts mit Killer zu tun?

Ach Quatsch. Killa wurde ich schon als kleiner Junge genannt. Der Name kam zustande, weil es damals üblich war, sich Spitznamen aus irgendwelchen Action-Filmen zu geben. Mann, Alter, ist das ein Torso. Der spielt Bombengeld. Der Kleene ist echt killa, hieß es über mich. Ich war sehr beliebt und auch sehr athletisch. Im Fußball war ich gut. Eigentlich in fast jeder Sportart. Irgendwann nannten mich alle Killa. Gute Freunde sagen auch: Ey, Killi, was machst du heute so?

Und dass aus Killi dann doch Killer wurde, kam erst später?

Na ja, geprügelt habe ich mich auch schon als Kind. Ich bin am Kotti aufgewachsen, und da geht es nicht ohne Kloppe. Wir haben uns mit den Deutschen ja nie angefreundet, weil wir dachten, wir gehen zurück. In Kreuzberg war damals eine Stimmung wie nach dem Krieg. Ich war noch Kind und irgendwie spürte ich den Krieg auch noch.

Das müssen Sie mal näher erklären.

In der Fabrik meiner Eltern zum Beispiel. Ich bin da manchmal gewesen, am Freitag oder am Wochenende, um meine Mutter oder meinen Vater abzuholen. Es gab eine Stimmung wie in „Schindlers Liste“. Da waren überall Farbige und die wurden von den Aufsehern beschimpft und herumkommandiert. Wie die Nazis im Krieg. Erst als 1990 die Mauer fiel, änderte sich die Stimmung.

Wie ist das zu erklären?

Ich weiß auch nicht. Irgendwann wurden wir nicht mehr so beschimpft, waren nicht mehr die Ahnungslosen.

Ahnungslos?

Aber sicher. Die Eltern waren ja nur hier, um Geld zu verdienen für ein Haus in der Türkei, damit wir dort keine Miete mehr bezahlen müssen. Für Deutschland interessierten sie sich nicht. Ich und meine Freunde sind dann in die Gang gegangen, weil wir dachten: Wir bleiben hier eh nicht. Wir hießen die „36er Boys“. Viele von uns dachten so. Wir haben die Schule geschwänzt und gingen stattdessen Geld verdienen. Ich weiß noch: Jede Stunde fuhr ein Jeep mit Maschinengewehren an uns vorbei. Wir wohnten ja direkt an der Mauer. Meine Kumpels konnten über die Mauer sehen. Aber interessiert hat sich niemand dafür. Das unterschied uns von den Kids heute. Die haben von uns gelernt. Heute sind die Kids schlauer und wissbegieriger.

Sie sind direkt an der Mauer aufgewachsen und hatten keine Vorstellung, was dahinter abgeht?

Ich dachte, da drüben ist es vielleicht wie in Norwegen oder Spanien, irgendein anderes Land eben. Als die Mauer fiel, kamen sie dann alle rüber. Ich dachte wieder: Es ist Krieg. Alle gingen sie zur Bank, um Geld abzuheben. Ich fragte meine Kumpels: Ey, was geht da ab? Aber die hatten auch keine Ahnung. Und dann sagte jemand: Die Mauer ist offen.

Haben Sie sich gefreut?

Am ersten Tag ja. Alle von da drüben haben uns angeglotzt, weil wir ja viel coolere Klamotten hatten. Erst dachte ich: Mann, sind wir hier in der Türkei? Dort haben mich auch immer alle angeguckt. Ich habe mich mit meinen Kumpels auch ein paar Schritte rüber getraut. Aber schon nach ein paar Metern wussten wir nicht, was wir dort sollten. Da war ja nichts los. Action ist nur bei uns am Kotti angesagt.

Sie und Ihre Freunde haben sich nicht für die Menschen da drüben interessiert?

Die Ossis sind doch genauso ahnungslose Gangs wie wir damals. Deswegen haben die jetzt auch so viele Nazis. Am dritten Tag des Mauerfalls stand ich am Kottbusser Tor. Da kam mir ein Ossi entgegen und fragte mich: Wer bist du denn, gehört Ihr hierher? Das war für mich der Punkt, wo ich gedacht habe: Alter, was war denn das? Ich werde nicht mehr nett zu denen sein. Und so war es dann auch.

Ganz schön hartes Urteil.

Mensch Alter, stell dir vor, du bist im Knast und plötzlich sind alle Mauern um dich herum weg. Da fragst du doch auch nicht die Leute um dich herum, was die denn hier zu suchen haben.

Sie sind im Knast gewesen.

Das stimmt. Insgesamt saß ich drei Jahre. Das erste Mal nach der Hauptschule, da war ich 16, irgendwann Anfang der 90er-Jahre.

Weswegen?

Wegen schwerem bewaffneten Raubüberfall.

Wen haben Sie überfallen?

Einen Juwelier.

Es war aber kein türkischer Juwelier aus dem Kiez.

Nein, ein jüdischer. Aber das spielt keine Rolle. Bei einem türkischen Juwelier wäre der Überfall auch nicht anders verlaufen.

Wie ist es dazu gekommen?

Ich bin bereits einige Jahre in der Gang gewesen. Irgendwann werden wir erwachsen und spezialisieren uns. Ein paar hatten sich für die Schule entschieden, andere wurden Einbrecher. Stehlen konnte ich nicht so gut. Ein bisschen Gewalt war schon ganz okay. Klauen nicht, aber: „Gib her“ – das schon. Wir waren zu dritt und hatten mit Geldüberfällen angefangen. Anfangs war es ein Baseball-Schläger. Mit der Beute konnten wir uns später auch Waffen besorgen, zwei Gas und eine Scharfe, so einen Cobalt. Ich fand es auf jeden Fall cool, das erste Mal eine echte scharfe Waffe in der Hand zu halten.

Und mit der sind Sie zu dem Juwelier gegangen?

Zunächst hat ja auch alles bestens geklappt. Die Beute hatten wir schon. Erwischt wurden wir woanders. Wir haben nämlich einen idiotischen Fehler begangen. Damals waren die Digitalanzeigen in Autos neu. Wir hatten einen BMW geklaut mit einer solchen Anzeige. Mensch, Ufo-Auto, dachten wir. Die Bullen waren wegen dem Auto hinter uns her, nicht wegen der Beute. Wir hätten also einfach aussteigen sollen. Wir hatten jedoch noch ein bisschen Benzin im Tank. Okay, den fahren wir noch zu Ende, dachten wir. An so ein Auto kommen wir nie mehr wieder. Zack, hatten sie uns erwischt. Das war am Mariannenplatz. Die Digitalanzeige hatte uns so geflasht, dass sie uns erwischen konnten.

Wie hat das anschließende Knastleben Ihr Leben geprägt?

Im Knast wird man einfach klüger, weil ich zum ersten Mal im Leben richtig Zeit hatte nachzudenken. Es gibt auch Knäste, da geht das nicht. Da hocken 40 Leute in einer Zelle. Aber bei mir war es okay. Die haben mir dort gezeigt: So geht das nicht weiter. Gegen die Staatsmacht kommst du eh nicht an. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, musste ich zwei Jahre sitzen. Normalerweise geben die ja nach neun Monaten Freigang. Ich bekam erst nach 17 Monaten zum ersten Mal frei, weil ich es dem Sozialarbeiter gezeigt hatte: Ich bin der Coole, mir ist alles scheißegal. Und so ließen sie mich schmoren.

Hatten Sie Verbündete im Knast?

Klar, ich war dort angesagt wie in der Schule. Drei Bosse gab es da, ich war einer dieser drei. Ich war cool, ich war korrekt und ich hielt mein Wort. Jeder liebte mich. Und dann ging’s auch mit der Musik los.

Sie wussten zu der Zeit schon, dass Sie einmal eine HipHop-Karriere einschlagen würden?

Damals stand ich noch mehr auf Breakdance, HipHop kam erst später. Aber ja, ich wusste, dass ich irgendwie dabei sein würde. Im Knast begann ich, Texte zu schreiben.

Ist ein Knastaufenthalt ein Muss für einen erfolgreichen Battle-Rapper?

Vielleicht, vielleicht auch nicht. Mich hat das Leben dort geprägt und mich zur eigenen Musik geführt. Hätte ich nicht zur Musik gefunden, wäre mein Leben jetzt gefickt.

Wovon handeln Ihre Texte?

Über mein Leben im Knast, im Kiez. Und über Bobbi. Der hat mich nach dem Knastaufenthalt zu Islamic Force geholt, meiner ersten HipHop-Crew. Vor zwei Jahren ist er gestorben.

Schlägerei?

Nein, Drogen.

Haben Sie auch gedealt?

Ich kann mich noch erinnern, als wir noch Kids waren. Wir hatten Freunde, die hatten größere Brüder. Und an einem Tag kam ein Kumpel mit einer vollen braunen Tüte. Ein Paar haben gesagt: Ey, das ist bestimmt cool. Wie dealt man? An dieser einen Kilo-Tüte sind wir 36er zerbrochen.

Was meinen Sie damit?

Wenn Drogen im Spiel sind, zerbrechen Freundschaften. Zusammen mit meinen zwei Kumpels waren wir die perfekten Räuber. Ich habe die Geburtsstunde der türkischen Dealer am Kotti miterlebt, aber ich selbst habe nichts genommen. Ich gehörte nicht zur Tüten-Fraktion. Viele von ihnen sind inzwischen gestorben. Bei Bobbi war es ein dummer letzter Schuss. Seinen Tod habe ich in meine Texte eingearbeitet. Das merkt man auch an meinen ersten Songs. Sie sind melancholischer. Ich verarbeite die Trauer, den Abgang von meinem Kumpel. In meinen neuen Liedern ist das anders. Da hörst du auf jeden Fall den Gangsta-Sound.

Ihre Lieder sind für deutsche Hiphopper nicht zu verstehen. Sie singen auf Türkisch. Warum?

Hätte ich auf Englisch geschrieben, dann wäre ich irgendwann sicherlich auf einen Engländer gestoßen, der gesagt hätte: Ey, Wichser, warum kannst du nicht in deiner eigenen Sprache texten?

Für einen Deutsch-Türken hätte es ja auch Deutsch sein können.

Gefühlsmäßig kann ich mich nicht so gut auf Deutsch ausdrücken. Auf Türkisch geht in meinem Kopf alles schneller. Da kann ich viele Sätze in wenigen Sekunden erzählen. Zu Hause habe ich nämlich immer Türkisch gesprochen.

Der Titel Ihres aktuellen Albums heißt wörtlich übersetzt: „Vom Block auf die Straße“. Was meinen Sie damit?

Damit meine ich, dass meine Platte nicht nur in irgendwelchen dunklen Kiezecken zu hören ist, sondern überall. Ich will der erste türkische Rapper sein, der dieses Depressive abwirft und anfängt, mit guter Laune Musik zu machen. Türkischer Rap in Deutschland war bisher immer komplett auf sich alleine gestellt, weil keine Sau uns hören wollte. Es war nicht richtig Party, sondern eher ein Geheule von der Straße. Insofern gab es auch keinen Markt. Dafür konnten wir machen, was wir wollen. Inzwischen erkennen viele in uns eine komplett eigenständige HipHop-Richtung mit völlig unverfälschten Wurzeln. Wir werden selbstbewusster. Ich will auch in Clubs gehört werden.

Weg von der Straße, hinein in die Clubs – ist Ihre Musik noch authentische Straßenmusik?

Ich bleibe ein Straßen-Kid. Aber ich will auch mal leben. Getrauert habe ich genug. Wenn die Leute meinen Namen hören, möchte ich, dass sie sagen können: HipHop muss nicht immer Drama sein.